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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag"
Autoren: Dorit Kowitz
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bildungsbürgerlich durchs Pergamonmuseum schlendert und das Handy ausgestellt hat. Hinterher: „Verpasste Anrufe – 7“:
    Das simpelste wie tückischste Ritual aber ist: dass das Wochenende dir und deinem Freund gehört. Das heißt nämlich, dass es anderen nicht gehört. Und dir allein sowieso nie. In den meisten Fällen geht das in Ordnung. In den meisten.
    In meinem Job, ich war Korrespondentin einer Münchner Zeitung in Berlin geworden, war aber jedes vierte Wochenende ohnehin amputiert, und das meint nur die geplanten Sonntagsdienste. Hinzu kamen Parteitage, Wahlkämpfe, Neuwahlen, Verbrecherjagden, Politikerrücktritte, Hochwasserfluten oder Rechtsradikale, die zwischen Weihnachten und Neujahr beliebten, im hintersten Winkel Brandenburgs einen Ausländer zu Tode zu jagen. Da „muss“ man nicht los, da will man los als Reporterin (meistens, jedenfalls). Bloß ist jede Zweisamkeit natürlich hin und die nächste Chance dazu in fünf Tagen, frühestens.
    Wir fragten einander nicht: Wann kommst du Freitag?
    Wir fragten: Kommst du Freitag?
    Aus dem Katalog der Antworten:
    „Vielleicht.“
    „Muss mal sehen, ob ich da nicht nach Dings fahre, um den Minister zu interviewen.“
    „Da ist doch der Parteitag.“
    „Wir bauen den Laden um, kannst gerne kommen, aber ich hab’ echt wenig Zeit.“
    „Wir können doch nicht zur Party am Müggelsee, ich muss nach Frankfurt, diese Geiseln interviewen, die sie freigelassen haben.“
    „Na, nee, ich fahre doch zum 60. meiner Ma nach Bayern. Du kannst, wie gesagt, gern mit. Aber ...“
    Anhänglich sollte man da nicht sein. Es ist schon so: Paare, die zusammenleben, fürchten einander im Alltag zu verschleißen. Paare, die nicht zusammenleben, sehnen sich nach Alltag. Sich danach zu sehnen, ist komfortabler, im Vorher-Nachher-Vergleich.
    Sie schleichen sich schnell in so eine Liebe auf Abstand, die Gewohnheiten und Angewohnheiten, die stillschweigenden Vereinbarungen und unausgesprochenen Regeln, die Erwartungen und Zwänge. Sie werden ein unerschöpfliches Reservoir – auch für Glücksmomente, vor allem aber für Missverständnisse. Das ist nicht anders, als wenn man zusammenlebt. Es ist nur umständlicher. Drum muss man sich manches einfacher machen.
    Zu unserem Glück mochten wir Berlin, beide. Ich hatte mich mit 25 Jahren gegen Anstellungen in Dresden und Hamburg entschieden und für die sich aufplusternde, werdende Hauptstadt. Ich arbeitete zuerst freiberuflich, die feste Stelle bei der Zeitung kam ein Jahr später hinzu.
    Paul hatte ich gar nicht groß gefragt, ob ihm Berlin passt oder nicht. Es war nicht so, dass ich seine Meinung nicht hören wollte, im Gegenteil. Ich wusste, dass er wusste, Leipzig wäre für mich der falsche Ort zur falschen Zeit. Um meine Entscheidung zu bekräftigen, schenkte er mir zu Weihnachten ein Laptop, das seinerzeit so viel gekostet haben muss wie drei Monatsgewinne seiner Kneipe eingebracht hatten. Vor Steuern. Er stotterte es ab. Es war eine fette Liebeserklärung.
    Eine Fern-Liebe funktioniert da genau wie eine Nah-Liebe: Man muss sich in ein paar wesentlichen Dingen einig sein. Bloß, was wesentlich ist, ändert sich fortwährend. Man kann darauf hoffen, dass „die Chemie“ zwischen ihm und dir schon mitteilen wird, was gerade Sache ist. Allerdings können chemische Verbindungen auf Distanz flugs instabil werden.
    Als Helene dreißig wurde, war sie verliebt in einen 29-jährigen Schriftsteller, der in Wien und England lebte. Er vergötterte sie. Er hatte ihren Geburtstag als James-Bond-Film mit Spielorten in ganz Berlin inszeniert, der Showdown in einer alten Fabrik-Halle uferte zu einer sagenhaften Party aus. Gegen drei Uhr morgens und nach gefühlten zehn Wodka Sour erzählte mir der Schriftsteller, dass er ungemein glücklich sei mit Helene. Genau wie er wolle sie am liebsten gleich Kinder, genau wie er träume sie von einem Cottage in Südengland.
    So besoffen konnte ich gar nicht sein, als dass ich nicht sofort wusste, nichts davon kann stimmen. Helene wollte lieber gar keine Kinder als „jetzt schon eins, eher gehe ich ins Kloster als Babyärsche abzuwischen“, lautete der O-Ton einer unserer letzten Weiberabende. Und Landhäuser waren ihr nur recht, solange sie anderen gehörten. Jedwede Besuche in Bauernhöfen, Rustikos und Cottages waren für sie illustre Trips in, wie sie fand, „realitätsverneinende Huschebubu-Welten“ aus Terrakotta, Holzdielen, Lavendelbüschen, freigelegten Balken und
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