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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag"
Autoren: Dorit Kowitz
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Rasenaufsitzmähern. Sie dienten ihr als Beweis dafür, dass es überlebensnotwendig für sie ist, sich an große Städte, das Bauhaus und seine Jünger zu halten. Nur in postmodernen Hallen, möglichst aus Beton, glaubte Helene, könne sie atmen und existieren.
    Ich vernahm Helene ein paar Tage später. Wie sich herausstellte, hatte weder sie den Schriftsteller belogen noch er sie. In ihrer Verliebtheit, der vermeintlich stimmenden „Chemie“, hatten sie die Zeichen und Worte des anderen übersehen und überhört, übergangen und unterschlagen, die klaren Ansagen an den raren gemeinsamen Wochenenden gescheut. Weder hatte er je zu ihr gesagt: „Ich will ein Kind mit dir, jetzt“, noch sie zu ihm: „Ich nicht, niemals.“
    Ein halbes Jahr lang probierten sie es noch miteinander. Dann war Schluss. Der Schriftsteller heiratete schnell einegroße Blondine vom Fernsehen und das im eigenen Ferienanwesen in der Grafschaft Devon. Sie bekamen hurtig hintereinander zwei Kinder und werden glücklich sein bis an ihr ... Na, wer weiß. Der Agent des Schriftstellers verriet mir einmal, dass ihm eine Novelle des Mannes vorliegt, die er für undruckbar hält. Alles darin dreht sich um die Obsession und unerhörte Liebe zu einer milchkakaobraunen Schönheit, die Beton als Fetisch hat.
    Eine Fernliebe verführt dazu, nur für den Augenblick zu leben, es einfach zu genießen, dass man sich sieht und etwas Schönes miteinander anstellt, um montags drauf wieder seiner Profession nachzugehen, ohne Last, ohne Verbindlichkeit. Eine Weile lang fühlt sich das toll an. Nach dieser Weile kann sich das ungemein hohl anfühlen. Man versteht erst nach und nach, dass sich auf Distanz zu lieben erst recht heißen kann, sich durch gemeinsame Träume zu binden. Man darf Lust haben, gemeinsame Pläne zu schmieden, trotz der Entfernung. Sie müssen ja nicht alle wahr werden, aber ein paar können dann überhaupt wahr werden.
    Als ich mich für Berlin entschieden hatte (und gegen ein gemeinsames Pärchenleben mit Quiche Lorraine zum Abendbrot und gepflegtem Mittwochabendsex), freute Paul sich einfach. Berlin! Er liebäugelte fortan damit, auch herzuziehen, seine Geschäfte aus der Ferne zu steuern oder sie ganz zu verlagern. Ich träumte ein bisschen mit und ahnte immer, von Berufs wegen Skeptikerin, wie schwer das gehen würde, ein Café in Leipzig und eins in Berlin? Aber, wer weiß?
    Das klingt großmäulig, so, als hätten wir jedes Wochenende die Sau rausgelassen und alles mitgenommen, was die aufstrebende Angeber-Stadt so hergab, jeden räudigen Club an der Spree, jedes neue In-Lokal an den Ausläufern der Friedrichstraße, jede halblegale Szeneparty. Ich war überhaupt nicht hip, kannte aber ein paar überengagierte Szenegänger,die uns gerne hie und da eingeschleust hätten; in der Redaktion häuften sich sowieso die Society-Einladungen der neuen Berliner Republik. Aber wir ließen lauter Gelegenheiten verstreichen. Es kam anders. Wir wurden plötzlich: häuslich, spießig, traut. Wir aßen so gut wie jeden Freitagabend in meiner Wohnung. Und ich fing allen Ernstes an, mir das Kochen beizubringen.
    Der Drang dazu kam wie aus dem Nichts und fügte sich in diese beängstigende neue Melange meines Lebens, die aus sanierter Jugendstilwohnung, geleastem Golf-Neuwagen, polnischer Putzfrau und dem ersten „Boss“-Hosenanzug bestand. Ich war gerade 27 geworden und bekam ein beengendes Gefühl in der Brust. Würde das jetzt bis zur Rente so weitergehen? Um nicht zu glauben, „alles“ bis ins letzte „geregelt“ zu haben, verweigerte ich mich tollkühn, die mir zustehenden „vermögenswirksamen Leistungen“ meines Arbeitgebers in Anspruch zu nehmen. Bis mir ein Kollege sagte: „Sei doch nicht blöd!“ Das reichte, und schwups, hatte ich auch noch einen Bausparvertrag an der Backe. Ohmeingott! Das ist das Ende meiner Jugend! Bei lebendigem Leibe eingemauert von den Pfründen der Mittelschicht!
    Später erklärte sich mir das Phänomen und noch später relativierte es sich durch neue Verwerfungen.
    Eine Fernbeziehung und ein Beruf, der mit vielen Reisen und unregelmäßigen Arbeitszeiten weit jenseits der vierzig Stunden verbunden ist, können den ambitionierten Stadtmenschen mehr reduzieren und schneller verspießern als jedes kreditfinanzierte Fertigteilhaus auf 420 Quadratmetern Grund im Speckgürtel einer Großstadt. Man muss sich da nichts vormachen. Ob Helene, Milla oder ich – wir kochten, werkelten und räumten in unseren Berliner
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