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Bezaubernde Spionin

Bezaubernde Spionin

Titel: Bezaubernde Spionin
Autoren: Jo MacDoherty
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Prolog
    Perth, September 1425
    T iefste Stille herrschte in den Korridoren des königlichen Palastes in Perth, die nur von einigen wenigen Fackeln erhellt wurden, deren flackerndes, fahles Licht sämtliche Farben auszulöschen schien. Es waren jene Stunden lange nach Mitternacht und vor dem ersten Grauen des Tages, in denen alle schliefen, die Gottlosen und Gläubigen, die Ränkeschmiede und Aufrechten, die Glücklichen und auch die Unseligen … fast alle.
    Aylinn von Albany fand trotz der späten Stunde einfach keine Ruhe. Sie hatte sich schon längst von ihrer Zofe beim Auskleiden helfen lassen, hatte ihren Schlummertrunk aus heißer Milch und kostbarem Honig in ihrem großen, weichen Himmelbett getrunken, aber dennoch, ihr Geist wollte sich nicht beruhigen, war immer noch aufgewühlt von den Ereignissen dieses für Schottland so bedeutsamen Tages.
    Also war sie wieder aufgestanden und hatte begonnen, rastlos in ihrem Gemach auf und ab zu wandern. Plötzlich blieb Aylinn wie angewurzelt stehen und strich sich mit der Hand über ihre glühenden Wangen.
    Bedeutende Ereignisse für Schottland?, dachte sie und verzog das Gesicht. Von wegen Staatsraison! Sie kannte den Grund für ihre Unruhe nur zu gut, aber sie wollte ihn einfach nicht wahrhaben, versuchte, jeden Gedanken daran zu verdrängen, dabei war, wenn sie ehrlich war, in all den Monaten, die seit dem Tod ihres Vaters verflossen waren, kein einziger Tag verstrichen, an dem sie nicht daran gedacht hatte.
    Oder genauer, an dem sie nicht an ihn gedacht hatte.
    Geliebter. Vatermörder.
    Aylinn hatte das Gefühl, eine eiserne Klammer würde sich um ihr Herz legen, als sie die Erinnerung an den Mann überkam, den sie seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen hatte, und um den seitdem beinahe pausenlos ihre Gedanken kreisten.
    Sie seufzte, zog ihre Robe fester um ihre Schultern und trat ans Fenster. Er war der Grund für ihre Unruhe, ihre Schlaflosigkeit und ihre … Aylinn zögerte einen Moment, einen kurzen Moment, bevor sie es sich eingestand. Ihre Furcht.
    Ihr bangte vor dem Morgen.
    Sie stand vor dem Fenster ihres Gemachs des Königlichen Schlosses in Perth, und plötzlich überkam sie die Erinnerung an eine ganz ähnliche Szene, vor einem Jahr. Auch damals hatte sie Furcht verspürt, eine Furcht, die sie beinahe gelähmt hatte, so übermächtig war sie gewesen. Und auch damals schien die Zukunft Schottlands auf dem Spiel zu stehen, so wie jetzt. Und ebenso wie jetzt war auch damals diese Furcht, die sie empfunden hatte, nicht die Angst einer jungen Frau vor übermächtigen politischen Ereignissen gewesen, die sie zu einem Spielball der Mächtigen zu machen drohte. Oh nein, es war die Furcht vor etwas viel Mächtigerem, Erschütterndem, und damals wie jetzt hatte sie nicht gewusst, was sie tun sollte.
    Damals jedoch war etwas geschehen, was ihr diese Furcht nahm, was sich spielend leicht über die Überheblichkeit hinwegsetzte, mit der sie versuchte, ihr zartes, empfindsames Herz zu schützen, wohlwissend, dass sie es ausgerechnet vor dem einen Feind, der es ihr nehmen konnte, nicht zu schützen vermochte. Aylinn lehnte ihren Kopf an das kühle Glas des Fensters und blickte in die Nacht hinaus, während sie sich erinnerte. Ihre schnellen Herzschläge dröhnten ihr in den Ohren, bis ihr schmerzliches Pochen plötzlich nachließ, als sie zu dem aufgeregten Pochen wurden, mit dem ihr Herz damals, vor fast einem Jahr, ihr die unleugbare Wahrheit eingehämmert hatte …
    *
    Man konnte der Tochter eines der mächtigsten schottischen Adligen alles Mögliche vorwerfen; Überheblichkeit, Kaltherzigkeit, Gewissenlosigkeit, Machtbesessenheit - und sie wusste, dass nicht wenige Lords und Ladys des schottischen Hochadels genau das taten, und gleichzeitig war ihr klar, dass diese Vorwürfe nicht nur aus der Luft gegriffen waren. Aber eines konnte man ihr nicht nachsagen: dass sie dumm gewesen wäre.
    Und nur ein dummer Mensch würde sich einer Wahrheit nur deshalb nicht stellen, weil sie unangenehm war, eine Seite seines Wesens ans Licht förderte, die man lieber im Dunkeln gelassen hätte.
    Der Grund für ihre Rastlosigkeit war weder die Krönung des ersten rechtmäßigen schottischen Königs seit vielen Jahren noch die ungeheuerliche Untreue ihres Vaters ebendiesem König gegenüber, Jakob, oder vielmehr James I., wie er sich nach seiner Inthronisierung nannte; eine Untreue, die Hochverrat bedeutete und für die ihr Vater, trotz seiner nahezu unangreifbaren Position als
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