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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag"
Autoren: Dorit Kowitz
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Flocken nicht. Und warum musste ausgerechnet die olle Janis-Joplin-CD im Auto liegen bleiben? „Oh Lord won`t you buy me a Mercedes Benz ...“
    „Best off“? Fuck off! Warum läuft auf „Radio Eins“ ausgerechnet elektronische Musik, in Herrgottsnamen? Ich hasse House! Warum sind die Kommentare auf Deutschlandfunk so grottenschlecht? Und jetzt noch „Hintergrund Politik: Aserbaidschan“? Aserbaidschan! Die wollen, dass ich einschlafe! Kaffee wäre gut, was wäre Kaffee gut! Aber die nächste Tanke kommt erst in 36 Kilometern, und die müssen noch überlebt werden. Auf der Suche nach Verkehrsmeldungen drängelt sich ein Oldie-Sender in den Äther, Neil Young wimmert „Helpless, helpless, helpless!“ Ich möchte weinen.
    Es wäre an manchen dieser Abende auf den Autobahnen zwischen Hamburg, Berlin und Leipzig gut gewesen, abzufahren und in ein Motel einzuchecken. Es hätte Falten gespart und Stresshormone und die Sorgen des Angebeteten zu Hause. Allein, wir taten es immer wieder. Man biss sich durch, kam an, irgendwie. Blass, gerädert, um Jahre gealtert und Stunden später, als man wollte, aber man war: da. Am Leben. Sich klammernd an den Gedanken, durch gemeinsames Aufwachen belohnt zu werden. Dafür seine leibliche Unversehrtheit zu riskieren, war freilich großer Unsinn.
    Neben der lebensgefährlichen Komponente des Zueinanderreisens gibt es die demütigende. Für Reisende der Deutschen Bahn AG und der Lufthansa ist Demütigung im Preis inbegriffen und als Zusatzleistung nicht abwählbar.
    Ein April. Ein Freitag. 19.40 Uhr. Dunkel. Zurück von einer Dienstreise aus Kroatien kreist du auf Sitz 12 C hoch über Frankfurt in der Warteschleife. Und kreist und kreist. Der Anschlussflug nach Berlin war mal bequem gewesen, fast zwei Stunden, um umzusteigen. Jetzt zählst du die Minuten rückwärts, Countdown. Du versuchst dich NICHT AUFZUREGEN! Sich nicht aufzuregen, ist aber nicht die Stärke von Journalisten, sonst wären sie keine. Widerliche Flüche und Schimpfwörter springen durchs Hirn, du hast Not, sie bei dir zu behalten.
    Am Boden noch eine halbe Stunde Zeit. Das Gate für den Anschlussflug – liegt am anderen Ende des Frankfurter Flughafens. Das ist weit, so weit.
    Fraport ist die Gotham City der deutschen Flughäfen, menschenfeindlich und maßlos.
    Rollkoffer, Jacke, Zeitungen, Handtasche: Du und deine Habseligkeiten laufen, stolpern, schlenkern, RENNEN, über Laufbänder, Fliesenbelag, Rolltreppen, um parfümierteScheich-Familien herum und an klimagekühlten Geschäftsmännern vorbei. Du schwitzt und rennst und stehst schließlich, keuchend, mit ekligen Schweißflecken unterm Arm vorm Bodenpersonal. Endlich. Rechtzeitig. Noch drei Stunden bis zur Dusche im Bauernhaus; Paul wird dann schon seit einer Stunde da sein und indisch kochen, Butter Chicken ... Aber man würdigt dich keines Blicks. Um dich herum am Gate stehen viele Leute, zu viele. Der Flug ist überbucht. Es ist der letzte nach Berlin. Eine Stewardess mit dem Charme einer Gefängniswärterin und ein Steward, dessen Gesicht bezeugt, dass er täglich mehr Zeit mit Kosmetik verbringt als du im ganzen Monat, entschuldigen sich, ohne es zu meinen. Wenn du nicht erst 31 wärst und nicht aufgehört hättest zu rauchen, käme JETZT der Infarkt.
    Ein November. Ein Freitag. 19.10 Uhr. Dunkel. Der Zug, der jetzt abfahren müsste, steht noch nicht einmal da. Es wird dir bis ans Ende deiner Tage schleierhaft sein, warum ein ICE, der in Hamburg-Altona erst losfährt, schon im Hamburger Hauptbahnhof fünfzehn Minuten Verspätung hat. Die Ausrede bei der Bahn für diesen Umstand heißt: „Der Zug wurde nicht rechtzeitig bereitgestellt.“
    „Wurde“ klingt, als habe eine fremde Macht willkürlich eingegriffen. Die Wortwahl ist falsch, Absicht und durchschaubar. Sie beleidigt darum die Intelligenz von Liebes-Reisenden und demütigt sie. Höhere Mächte walten nämlich nur (und oft genug), wenn „Kinder im Gleis“ spielen, ein „Personenschaden“ genannter Selbstmord verübt wurde, die Böschung an der ICE-Trasse brennt oder es zu Blitzeis kommt. Dagegen sind „Stellwerksprobleme“, „Ausfälle im Zentralrechner“ und, sehr beliebt, die „hohe Streckenauslastung“ Probleme eines Beförderungsunternehmens, das viel Geld an pendelnden Paaren verdient und sich dafür mit Preiserhöhungen und Pannen revanchiert.
    Leider ist man auf diese Firma angewiesen. Meine absolute Lieblingsbegründung der Deutschen Bahn AG dafür, dass ich meinen Geliebten
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