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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag"
Autoren: Dorit Kowitz
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ungerecht sein. Milla war 32. Sie wollte Kinder, nicht gleich, aber irgendwann. Und sie war darum aschfahl, weil sie Carsten trotz allem liebte.
    Milla ging nicht nach Köln. Am Ende stimmte das Geld irgendwie nicht, und einer der Vorstände dort baggerte sie an. Sagte sie. Vielleicht hatte sie das aber nur so deuten wollen. Um sich gegen ihre große Chance entscheiden zu können, und das vermeintlich allein. Zurück blieb ihr ein Splitter im Herzen.
    Ist es leichter, nie zusammengelebt zu haben, bevor eine Fernbeziehung beginnt? Verringert das die Wahrscheinlichkeit zu scheitern? Unser Exempel spricht dafür, und Millas zunächst gescheitertes scheint es zu bestätigen. Helene dagegen unterläuft die These mit ihrer fortwährenden Eifersucht und Verlassensangst; ein Jahr und acht Monate Hamburg-Berlin ist immer noch ihr Allzeitbeziehungsrekord. Und mein Freund Ralf, nach 15 Jahren mit Bettina und zwei Kindern gemeinsam in einer Wohnung, ist erst seit drei Jahren Wochenend-Mann und widerlegt erfolgreich die Annahme. Judy hatte sogar sechs Jahre Berlin-Hamburg durchgehalten, nach der ersten gemeinsamen Zeit wildverliebten Hausens in derSchönhauser Allee mit Tom. Ihr Ende als Paar kam am Ende auch nicht vom ewigen Hin-und-Her, sondern vom Brüderchen-Schwesterchen-Syndrom, viel Freundschaft, kein Sexappeal mehr.
    Rituale mögen tückisch sein, aber sie sind nötig. Man muss sich sehen können, sich riechen können, man muss reden, man muss sagen können, bleib, wenn der andere bleiben soll – und die Konsequenzen tragen, wenn man ihn nicht halten kann. Schweigen aber ist sehr, sehr ungünstig.

Reisen am Rande des Wahnsinns
    „Die aktuellen Verkehrsmeldungen mit Staus ab fünf Kilometern Länge: ... A 9, zwischen Niemegk und Klein Marzehns acht Kilometer Stau nach einer Vollsperrung. Letzte freie Ausfahrt ...“, liegt lange hinter mir. Stillstand.
    Es gibt drei logistische Fehler, die Fern-Liebende machen können: Sie können lange Strecken mit dem Auto zurücklegen, sie können lange Strecken mit dem Zug zurücklegen, oder sie fliegen. Das Blöde ist, einen der Fehler muss man begehen, um den anderen zu sehen.
    Nach einer gewissen Lebenszeit auf Achse ist eine Vollsperrung, von der man aus dem Radio bereits erfährt, während man in dem daraus resultierenden Stau steht, beinahe eine Wohltat. Man weiß zwar nicht, wie lange sie dauert. Aber man weiß jetzt, woran man ist. Man weiß, man hätte doch vorhin pinkeln gehen sollen. Man weiß, dass es jetzt echt schlecht ist, dass die Nadel der Tankanzeige in den roten Bereich pendelt. Man hätte die schöne, von Jule gebrannte Johnny-Cash-CD mit den gecoverten Songs mitnehmen und das Handy noch mal aufladen sollen. Aber für den einen Anruf wird es noch reichen, in dem die entscheidende Ansage fällt: „Scheiße, ich stehe im Stau. Vollsperrung! Keine Ahnung, wie lange das dauert, eben sind die mit dem Krankenwagen erst hier durch. Nee, ich kann die Stelle nicht sehen. Mein Handy ist übrigens fast leer. Was? Na ja. Ja, danke, ich tue mir auch leid. Fangt schon mal ohne mich an.“
    Zu essen, zu feiern, Spaß zu haben, what ever . Für dich in der Blechkiste und für ihn zu Hause verkürzt sich: ab jetzt! die gemeinsame Lebenszeit um Minuten, um Stunden, und wenn es hart kommt, um Nächte.
    Um das zu vermeiden, wird man unvernünftig.
    Ein Januar. Ein Freitag. 18.40 Uhr. Finster. Der Schnee kreist in dicken schweren Flocken wie ein Strudel in dein Scheinwerferlicht und auf deine Frontscheibe zu. Jede Flocke gleißt weiß in der Nacht. Der Schnee spielt mit dir Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch, „Hör auf mich, glaube mir, Augen zu.“ Psychedelisch. Ein Trip ohne Drogen. Du bist müde, so müde. Und auf Schlafentzug. Das letzte Wochenende durchgearbeitet, und fünfzig Arbeitsstunden der neuen Woche liegen hinter dir, der Streit mit dem eitlen Großreporter als krönenden Abschluss.
    Ein Belag aus nassem Schnee legt sich auf die frostkalte A 24 und wird festgefahren. Er wird glatt. Du reduzierst deine Geschwindigkeit, ohne zu bremsen. Ein Trucker beschwert sich mit dröhnender Fanfare und zieht in letzter Sekunde an dir vorbei. Du zuckst. Geräusche wie aus einem Roadmovie, du bist das Opfer einer Hatz und kurz ungemein wach. Angst-Adrenalin. Und kein Airbag, denn das Auto ist alt und war billig. Noch zweieinhalb Stunden Fahrt, bei normalen Verhältnissen wären es jedenfalls zweieinhalb. Die Reifen sind schlecht. Schnee, so viel Schnee. Man sieht die Straße vor
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