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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag"
Autoren: Dorit Kowitz
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immer und immer wieder erst Stunden später als geplant sehen konnte, sind die „Störungen im Betriebsablauf“. Das ist so, als sage einem der Autoschlosser: „Ihr Auto ist kaputt, weil Ihr Auto kaputt ist.“
    Ein gestörter Betriebsablauf führt mal zu zwanzig Minuten Verspätung, die sich durchaus auf vierzig Minuten erhöhen können und schließlich auf sechzig erstrecken. All das wird nur peu à peu von Bahnmitarbeitern durchgesagt, damit die Reisenden auf den Bahnsteigen dieser Bundesrepublik verharren müssen, durstig, gedrängt, je nach Jahreszeit frierend oder schwitzend, immer in Furcht, den Einstieg zu verpassen und selbstverständlich ohne Bank zum Sitzen, denn Bänke gibt es nur noch nach einem hoch potenzierten Reise-nach-Jerusalem-Prinzip, auf dreißig Wartende ein Sitzplatz.
    Stetes Reisen mit der Deutschen Bahn führt zur Schafwerdung einer ganzen gesellschaftlichen Schicht. Leider ist es eine eher gebildete und fleißige Schicht, darum habe ich die These entwickelt, dass ein Gutteil der Probleme Deutschlands gar nicht gelöst werden kann, weil er auf der Schiene bleibt. Ich habe neulich gehört, in England oder Italien oder Bangladesch sei das alles viel schlimmer. Aber das macht das Schlimme in Deutschland doch nicht besser, oder?
    Neuerdings ist es sogar lebensgefährlich geworden, Bahn zu fahren. Ich wäre neulich beinahe der Kirche beigetreten, um wider allen Atheismus dem lieben Gott dafür danken zu können, dass ich nicht mit dem ICE reisen musste, als darin im Hochsommer 71 Grad herrschten. Die Klimaanlagen, die mich bislang immer frieren machten, hatten bei 36 Grad Außentemperatur versagt. Die Leute kollabierten reihenweise. Der Zug als fahrender Dampfgarer für Menschenfleisch wareine Höllenvariante, die ich noch gar nicht kannte. Chapeau dem Teufel!
    Man könnte es kurz sagen, aber das würde der Schmach nicht gerecht: Pendeln der Liebe wegen ist Stress. Man nimmt ihn hin, um etwas anderes dafür zu bekommen. In den meisten Fällen, so auch in unserem, ist es ein guter Job für gutes Geld, der einem gute Laune macht und damit das Lebens lebenswerter. Es ist aber ratsam, sich als Paar immer mal wieder zu vergewissern, ob der Job des einen oder der anderen noch gut genug ist und all den Aufwand und die Leiden rechtfertigt. So handhabten wir das auch.
    Nach der ersten Gewissensprüfung fand ich mich darum, sieben Jahre nach dem ersten Versuch und trotz aller Vorbehalte gegen die Stadt, in Hamburg arbeitend wieder, bei einem Wochenmagazin. In unserer Plus-Minus-Rechnung als Paar hatte das Plus überwogen, diesen Schritt zu gehen. Es hat eine Weile gebraucht, es hat auch weh getan, diese Entscheidung zu treffen. Aber darauf komme ich noch genauer zurück.
    Um dem Eppendorfer Einbahnstraßen-Wahnsinn zu entgehen, zog ich beim zweiten Mal Hamburg in eine Wohnung, die praktisch neben dem Verlag lag. Dafür kostete das elegante Einzimmer-Neubau-Studio mit Nordfenster so viel wie drei sanierte Zimmer in Berlin-Friedrichshain mit Holzdielen und Balkon nach Südwest. Ich tat erst gar nicht so, als wollte ich mit der Stadt warmwerden. Und ich verlegte mich zu jener Zeit aufs Zugfahren, um den Reisestress zu minimieren. Letzteres gelang, wir sprachen darüber, nicht wirklich.
    Am Wochenende traf ich mich mit Paul neuerdings in unserem Bauernhaus in Brandenburg. Das Haus auf dem Land war einer unserer Träume, die wir wahrgemacht hatten. Erst hatte Paul den Wunsch allein gehegt, dann ich ihn mit ihm, und wir erfüllten ihn uns, als es passte.
    Der Hof war ein reines Lustobjekt zur ländlich-romantischen Erbauung, selbstverständlich zu teuer und als Wertanlage völlig untauglich. Dieses Risiko einzugehen, wurde auch umgehend von der kapitalistischen Realität bestraft: Kaum hatten wir ihn gekauft, verlor ich meine Korrespondentenstelle bei der Zeitung. Medienkrise, die erste.
    Ich erläutere nachher noch, was das für uns als Paar genau bedeutete. Vorab schon mal so viel: 49 Redakteure meiner Zeitung mussten mit mir gehen; es traf „zufällig“ eine ganze Reihe Frauen um die dreißig, ohne Trauschein und ohne Kinder, Frauen wie mich. Das nannten sie Sozialauswahl. Einer meiner Kollegen, der anders als wir Frauen in Berlin gerade erst angestellt worden war und immer pünktlicher Feierabend machte als wir, hatte noch schnell geheiratet als die Krise kam; heute ist er Büroleiter und mit einer anderen verheiratet. Aber geschlechterspezifische Benachteiligungen interessieren eine Bank natürlich
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