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Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Titel: Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
Autoren: Michel Houellebecq
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überstanden. Von einem Jahr aufs andere wechselte
die Staatsangehörigkeit der Kunden, das war alles.
    Nach seiner Rückkehr nach
Châtelus-le-Marcheix gewöhnte Jed es sich an, täglich gegen Ende des Vormittags
einen Spaziergang durchs Dorf zu machen. Meistens trank er einen Aperitif im
Café am Dorfplatz (das seltsamerweise seinen alten Namen Bar des Sports beibehalten
hatte), ehe er zum Mittagessen nach Hause zurückkehrte. Er stellte sehr schnell
fest, dass viele der Neuankömmlinge ihn zu kennen schienen – oder wenigstens
von ihm gehört hatten – und ihm ohne besondere Feindseligkeit begegneten.
Tatsächlich glichen die neuen Landbewohner ihren Vorgängern nicht im
Geringsten. Sie hatten sich nicht aufgrund einer Notlage fürs Korbflechten, die
Renovierung eines Ferienquartiers oder die Herstellung von Käse entschieden, sondern
diese Wahl beruhte auf einer wirtschaftlich wohlüberdachten, rationalen
Entscheidung und einem gut vorbereiteten Unternehmensprojekt. Sie waren
gebildet, tolerant, liebenswürdig und lebten in gutem Einvernehmen mit den in
ihrer Region angesiedelten Ausländern – was im Übrigen durchaus in ihrem
Interesse lag, da diese den Großteil ihrer Kunden darstellten. Die meisten
Häuser, die ihre ehemaligen nordeuropäischen Besitzer nicht mehr zu unterhalten
imstande waren, waren allerdings aufgekauft worden. Die Chinesen bildeten zwar
eine Gemeinschaft, die sich ziemlich abkapselte, aber ehrlich gesagt auch nicht
mehr, ja eher weniger als einst die Engländer – und wenigstens zwangen sie den
anderen nicht den Gebrauch ihrer Sprache auf. Sie zeigten übermäßigen Respekt,
ja geradezu Verehrung für die lokalen Bräuche – die die Neuankömmlinge anfangs kaum kannten, die sie
aber mit großem Eifer in einer Form von mimetischer Anpassung reproduziert
hatten; und so konnte man immer deutlicher das Wiederaufleben regionaler
Kochrezepte, Tänze und Trachten beobachten. Nebenbei gesagt bildeten die Russen
ohne Zweifel die am meisten geschätzte Kundschaft. Es wäre ihnen nie in den
Sinn gekommen, den Preis für einen Aperitif oder einen Mietwagen mit
Allradantrieb herunterzuhandeln. Sie gaben ihr Geld mit offenen Händen aus,
getreu einer an das potlatch erinnernden Wirtschaftsform, die ohne Schwierigkeiten
alle aufeinander folgenden politischen Systeme überlebt hatte.
    Diese neue Generation stellte sich
als konservativer und respektvoller im Hinblick auf Geld und etablierte soziale
Rangordnungen heraus als all jene, die ihr vorausgegangen waren. Erstaunlicherweise
war die Geburtenrate in Frankreich diesmal tatsächlich gestiegen, selbst wenn
man die Einwanderungsquote außer Acht ließ, die seit dem Verschwinden der
letzten industriellen Arbeitsplätze und der zu Beginn der zwanziger Jahre des
dritten Jahrtausends vollzogenen drastischen Reduzierung sozialer
Schutzmaßnahmen sowieso fast auf null gesunken war. Die afrikanischen Migranten,
die in die neuen Industrieländer strebten, waren jetzt auf ihrer Reise noch
größeren Gefahren ausgesetzt. Bei der Überquerung des Indischen Ozeans oder des
Chinesischen Meeres wurden ihre Boote häufig von Piraten angegriffen, die ihnen
ihre letzten Ersparnisse raubten, wenn sie sie nicht gar einfach ins Meer
warfen.
    Eines Morgens, als Jed gerade in
kleinen Schlucken ein Glas Chablis trank, sprach ihn der bärtige Typ mit dem
Pferdeschwanz an – einer der ersten Dorfbewohner, die ihm aufgefallen waren.
Ohne genau zu wissen, welchen Beruf Jed ausübte, hatte er ihn als Künstler ausgemacht. Er
selbst male »ein bisschen«, gestand er und schlug Jed vor, ihm seine Werke zu
zeigen.
    Er hatte als Kraftfahrzeugmechaniker
in Courbevoie gearbeitet und einen Kredit aufgenommen, um sich im Dorf
niederzulassen, wo er eine Firma gegründet hatte, die Quads vermietete – Jed
dachte flüchtig an den Kroaten der Avenue Stephen-Pichon und seine Jet-Boote
zurück. Privat war er Harley-Davidson-Fan, und Jed musste sich eine
Viertelstunde lang die Beschreibung der in seiner Werkstatt thronenden Maschine
anhören und wie er sie im Lauf der Jahre individuell umgestaltet hatte. Aber
auch Quads waren ihm zufolge »tolle Maschinen«, die es ermöglichten, »schöne
Spritztouren« zu machen. Und was die Pflege angehe, erklärte er mit gesundem
Menschenverstand, so sei diese immerhin nicht so aufwendig wie die eines Pferdes.
Auf jeden Fall laufe das Geschäft gut, er könne sich nicht beklagen.
    Seine Bilder, die ganz offensichtlich
Werke der High Fantasy zum Vorbild
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