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Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Titel: Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
Autoren: Michel Houellebecq
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    J EFF K OONS HATTE SICH GERADE von seinem Sitz erhoben und voller Begeisterung die
Arme ausgestreckt. Ihm gegenüber saß Damien Hirst leicht in sich
zusammengesunken auf einem weißen Ledersofa, das zum Teil mit Seidenstoff
bedeckt war. Er schien im Begriff zu sein, einen Einwand geltend zu machen, auf
seinem geröteten Gesicht lag ein mürrischer Ausdruck. Beide trugen einen
schwarzen Anzug – Koons einen Nadelstreifenanzug –, ein weißes Hemd und eine
schwarze Krawatte. Zwischen den beiden Männern stand auf einem niedrigen Tisch
eine Schale mit kandierten Früchten, der keiner von beiden die geringste
Aufmerksamkeit widmete. Hirst trank ein Budweiser Light.
    Hinter ihnen war durch eine
Fensterwand eine Hochhauslandschaft zu sehen, ein babylonisches Gewirr aus
riesigen Polygonen, das sich bis zum Horizont erstreckte. Die Nacht war hell, die
Luft ungemein klar. Die Begegnung hätte in Katar oder in Dubai stattfinden
können; tatsächlich war die Raumausstattung einem Werbefoto aus einer deutschen
Hochglanzbroschüre über das Hotel Emirates in Abu Dhabi nachempfunden.
    Jeff Koons’ Stirn glänzte ein wenig.
Jed milderte den Glanz mit dem Pinsel ab und trat drei Schritte zurück. Mit
Koons gab es ganz offensichtlich ein Problem. Hirst dagegen war leichter darzustellen:
Man konnte ihn als brutalen, zynischen Typen wiedergeben, mit einem Ausdruck,
der gleichsam besagte: »Ich bin so reich, dass ich es mir leisten kann, auf
euch zu scheißen«; man konnte ihn auch als unbequemen
Künstler darstellen (wenn auch steinreich),
der sich in seiner Arbeit auf ängstliche Weise mit
dem Tod auseinandersetzte ; und schließlich
hatte sein Gesicht die typisch englischen Züge eines jener hitzköpfigen,
pöbelhaften Kerle, wie man sie von den Fans des FC Arsenal kennt. Kurz gesagt, es gab verschiedene
Aspekte, die sich jedoch zu einem kohärenten Porträt vereinigen ließen, das
einen für seine Generation typischen englischen Künstler repräsentierte. Koons
dagegen schien etwas Doppeldeutiges an sich zu haben, eine Art unlösbaren Widerspruch
zwischen der üblichen Gerissenheit eines Vertriebsleiters aus der
Technikbranche und der Überspanntheit eines Asketen. Schon seit drei Wochen
arbeitete Jed am Gesichtsausdruck von Koons, der sich von seinem Sitz erhob und
die Arme voller Begeisterung ausstreckte, als wolle er Hirst von etwas
überzeugen; es wäre nicht schwieriger gewesen, einen pornografischen Mormonen
zu malen.
    Er besaß zahlreiche Fotos von Koons:
allein, in Begleitung von Roman Abramowitsch, Madonna, Barack Obama, Bono,
Warren Buffett oder Bill Gates … Keines dieser Fotos brachte irgendetwas von
Koons’ Persönlichkeit zum Ausdruck, auf allen glich er einem Verkäufer von
Chevrolet-Cabrios, es war die Erscheinung, die er gewählt hatte, um sich der
Welt zu präsentieren. Es machte Jed rasend, ebenso wie die Fotografen ihn schon
seit langem rasend machten, vor allem die großen
Fotografen mit ihrem Anspruch, auf den
Bildern die Wahrheit über ihre Modelle an den Tag zu bringen; sie brachten gar nichts an den
Tag, sondern begnügten sich damit, sich vor einen zu stellen und den Auslöser
ihres Apparats zu betätigen, um leise glucksend aufs Geratewohl Hunderte von
Aufnahmen zu machen, und später wählten sie dann die Fotos der Serie aus, die nicht
total misslungen waren. So gingen sie vor, all diese sogenannten großen Fotografen , ohne
Ausnahme, Jed kannte mehrere von ihnen persönlich und hatte nur Verachtung für
sie übrig, in seinen Augen waren sie durch die Bank weg so kreativ wie ein
Fotoautomat.
    Ein paar Schritte hinter ihm gab
der Heizkessel in der Küche eine Folge von kurzen, knackenden Geräuschen von
sich. Jed erstarrte. Es war schon der 15. Dezember.

 
    E IN J AHR ZUVOR HATTE SEIN H EIZKESSEL ungefähr um diese Zeit die gleiche Folge von kurzen,
knackenden Geräuschen von sich gegeben, ehe die Heizung ganz ausfiel. Innerhalb
weniger Stunden war die Temperatur im Atelier auf 3° Celsius gesunken. Jed
hatte es fertiggebracht, ein bisschen zu schlafen oder genauer gesagt ab und zu
vorübergehend einzunicken. Gegen sechs Uhr morgens hatte er sich mit den
letzten Litern, die sich noch im Warmwasserspeicher befunden hatten, kurz gewaschen,
dann hatte er sich einen Kaffee gekocht und auf den Monteur der Firma Allgemeine Klempnerei gewartet
– sie hatten versprochen, ihm am frühen Vormittag jemanden zu schicken.
    Auf ihrer Website versprach die Firma Allgemeine Klempnerei ,
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