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Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Titel: Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
Autoren: Michel Houellebecq
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»das
Klempnerhandwerk in das dritte Jahrtausend zu überführen«. Sie könnten damit
anfangen, ihre Verabredungen einzuhalten, brummte Jed gegen elf Uhr, während er
im Atelier auf und ab ging, ohne dass es ihm gelang, sich aufzuwärmen. Er
arbeitete zu jener Zeit gerade an einem Porträt seines Vaters, das den Titel Der Architekt Jean-Pierre Martin gibt die Leitung seines
Unternehmens ab tragen sollte, und das Sinken
der Temperatur würde unweigerlich das Trocknen der letzten Farbschicht
verzögern. Wie jedes Jahr hatte Jed zugestimmt, zwei Wochen darauf am
Heiligabend mit seinem Vater zu Abend zu essen. Er hoffte, das Bild vorher
fertigzustellen, und wenn nicht bald ein Klempner kam, drohte die Sache zu scheitern.
Eigentlich war das völlig unwichtig, er hatte gar nicht die Absicht, das Bild
seinem Vater zu schenken, er wollte es ihm nur zeigen ; warum maß er der Sache also auf einmal so große
Bedeutung zu? Er war wohl gerade wirklich mit den Nerven fertig, er arbeitete
zu viel, hatte sechs Gemälde gleichzeitig begonnen, seit mehreren Monaten hatte
er so gut wie keine Pause eingelegt, das war ziemlich unvernünftig.
    Gegen fünfzehn Uhr beschloss er die
Firma Allgemeine Klempnerei anzurufen. Es war ständig besetzt. Kurz nach siebzehn
Uhr gelang es ihm endlich, jemanden zu erreichen; die für den Kundendienst
zuständige Mitarbeiterin machte die aufgrund des Kälteeinbruchs
außergewöhnliche Mehrarbeit geltend, versprach ihm aber fest, am folgenden
Vormittag jemanden vorbeizuschicken. Jed legte auf und reservierte ein Zimmer im Hôtel Mercure am
Boulevard Auguste-Blanqui.
    Den ganzen nächsten Tag wartete er auf
die Ankunft eines Monteurs der Allgemeinen Klempnerei , aber auch auf jemanden von der Firma Ganz einfach Klempner , die er
in der Zwischenzeit erreicht hatte. Ganz einfach
Klempner versprach zwar die Wahrung der
Tradition eines »Klempnerhandwerks von hohem Niveau«, stellte sich aber als
ebenso unfähig heraus, eine Verabredung einzuhalten.
    Auf dem Bild, das Jed von seinem
Vater gemalt hatte, stand dieser auf einem Podium vor den etwa fünfzig
Angestellten, die sein Unternehmen zählte, und hob mit einem leicht bitteren
Lächeln sein Glas. Die Abschiedsfeier hatte im Großraumbüro seiner Firma
stattgefunden, einem durch ein Glasdach erhellten etwa dreißig mal zwanzig
Meter großen Raum mit weißen Wänden, in dem sich mit Computern ausgestattete
Arbeitsplätze und auf Böcken ruhende Tischplatten mit maßstabsgetreuen Modellen
der in Arbeit befindlichen Projekte abwechselten. Der größte Teil der
Mitarbeiter bestand aus jungen Leuten, die wie Nerds aussahen: Das waren die
3-D-Gestalter. Am Fuß des Podiums standen drei Architekten um die vierzig, die
seinen Vater umrahmten. Die Gestaltung eines zweitrangigen Gemäldes von Lorenzo
Lotto imitierend, mied jeder von ihnen den Blick der beiden anderen, versuchte
jedoch den Blick seines Vaters auf sich zu ziehen; wie man sogleich begriff,
hegte jeder von ihnen die Hoffnung, seine Nachfolge als Firmenchef anzutreten.
Der Blick seines Vaters, der einen imaginären Punkt oberhalb der Köpfe seiner
Mitarbeiter fixierte, drückte den Wunsch aus, sein Team ein letztes Mal um sich
herum zu versammeln. Es lag ein gewisses Vertrauen in die Zukunft darin, vor
allem aber unendliche Trauer. Die Trauer darüber, das Unternehmen zu verlassen,
das er gegründet und dem er sein Bestes gegeben hatte, die Trauer angesichts
des Unvermeidlichen: Man hatte hier ganz offensichtlich einen Mann vor sich,
der am Ende war.
    Im Verlauf des Nachmittags versuchte
Jed etwa zehn Mal vergeblich, die Firma The Klemp zu erreichen, die sich für die Wartemusik ihrer
Telefonanlage des Radiosenders Skyrock bediente, während sich Ganz einfach Klempner für das
Unterhaltungsprogramm des Senders Rires et chansons entschieden hatte.
    Gegen siebzehn Uhr ging er ins Hôtel Mercure . Über dem
Boulevard Auguste-Blanqui brach die Dunkelheit an; ein paar Obdachlose hatten
in der Seitenallee ein Feuer gemacht.
    Die folgenden Tage verliefen ganz
ähnlich: Er wählte die Nummern von Klempnerfirmen, landete fast augenblicklich
in einer Warteschleife mit Musik und verharrte in immer eisigerer Kälte neben
seinem Gemälde, das nicht trocknen wollte.
    Am Vormittag des 24. Dezember bot sich
ihm eine Lösung in Gestalt eines kroatischen Handwerkers an, der ganz in der
Nähe in der Avenue Stephen-Pichon wohnte – Jed hatte das Schild zufällig auf
dem Rückweg vom Hôtel Mercure entdeckt. Er könne
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