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Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Titel: Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
Autoren: Michel Houellebecq
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war: niemals . Das war im Übrigen nicht einmal Rassismus oder
Fremdenhass. Für sie war jemand aus Paris im Großen und Ganzen ebenso ein Ausländer
wie ein Norddeutscher oder ein Senegalese; und für Ausländer hatten sie nun
einmal nichts übrig.
    Einer lakonischen Nachricht von Franz
entnahm er, dass dieser das Bild Michel Houellebecq,
Schriftsteller soeben an einen indischen
Mobiltelefonanbieter verkauft hatte. Es kamen also weitere sechs Millionen Euro
auf sein Bankkonto. Selbstverständlich war der Reichtum der Fremden – die für
den Erwerb eines Landhauses Summen zahlten, die die Einheimischen nie hätten
zusammentragen können – einer der Hauptgründe für das Ressentiment der
Landbewohner. In Jeds Fall kam noch erschwerend hinzu, dass er Künstler war: Sein Reichtum
war in den Augen eines Landwirts aus der Creuse auf eine zweifelhafte Weise
erworben worden, die an Betrug grenzte. Andererseits hatte er das Landhaus
nicht gekauft, sondern geerbt – manche erinnerten sich noch an ihn, als er in
mehreren aufeinanderfolgenden Jahren die Sommerferien im Haus seiner Großmutter
verbracht hatte. Schon damals war er ein ungeselliges, scheues Kind gewesen,
und auch nach seiner jetzigen Ankunft tat Jed nicht das Geringste, um sich
beliebt zu machen – ganz im Gegenteil.
    Hinter dem Haus seiner Großeltern
befand sich ein großer Garten von fast einem Hektar. Zu der Zeit, als sie beide
noch gelebt hatten, war er ganz für den Gemüseanbau genutzt worden, doch als
Jeds Großmutter verwitwet war, ihre Kräfte allmählich nachließen und sie
zunächst resigniert und später ungeduldig auf den Tod wartete, wurde die
angebaute Oberfläche kleiner und kleiner, immer mehr Gemüsebeete wurden
aufgegeben und dem Unkraut überlassen. Der nicht umzäunte hintere Teil des
Gartens grenzte direkt an den Wald von Grandmont – Jed erinnerte sich noch an
den Tag, da ein von Jägern verfolgtes Reh Zuflucht im Garten gesucht hatte. Ein
paar Wochen nach seiner Ankunft erfuhr er, dass ein an seinen Garten angrenzendes,
fast vollständig bewaldetes Gelände von etwa fünfzig Hektar zu verkaufen war;
er kaufte es, ohne zu zögern.
    Das Gerücht, dass ein etwas verrückter
Typ aus Paris Ländereien aufkaufte, ohne über den Preis zu verhandeln, machte
sehr schnell die Runde, und am Ende des Jahres besaß Jed ein zusammenhängendes
Gelände von siebenhundert Hektar. Seine hügelige und stellenweise schwer
zugängliche Domäne war fast ganz mit Buchen, Kastanien und Eichen bewaldet, in
der Mitte befand sich ein Teich mit einem Durchmesser von etwa fünfzig Metern.
Jed wartete, bis die starken Fröste vorüber waren, und ließ dann einen drei
Meter hohen Metallzaun errichten, der das ganze Gelände umgab. Oben auf dem
Zaun verlief ein von einem Niederspannungsgenerator gespeister Leitungsdraht.
Die Stromstärke war nicht ausreichend, um eine tödliche Wirkung hervorzurufen,
genügte aber, um jeden abzuschrecken, der über den Zaun zu klettern versuchte –
es war im Übrigen die gleiche Schwachstromanlage, wie sie Landwirte für Elektrozäune
benutzten, um Kuhherden am Verlassen der Weide zu hindern. Jed befand sich
somit durchaus auf dem Boden der Legalität, wie er den Gendarmen erklärte, die
ihn zweimal aufsuchten, um Näheres über die durch den Zaun erfolgte Veränderung
des Landschaftsbilds zu erfahren. Auch der Bürgermeister besuchte ihn und gab
ihm zu bedenken, dass er sich, wenn er den Jägern, die seit Generationen in
diesen Wäldern Rehe und Wildschweine jagten, das Wegerecht verwehre,
beträchtliche Feindschaften zuziehen werde. Jed hörte ihm aufmerksam zu und
räumte ein, dass das in gewisser Weise bedauerlich sei, brachte aber erneut das
Argument vor, dass er sich eindeutig auf dem Boden der Legalität befinde. Kurz
nach diesem Gespräch beauftragte er eine Hoch- und Tiefbaufirma mit dem Bau
einer Straße, die seine Domäne vom einen bis zum anderen Ende durchquerte und
in ein Tor mit Fernbedienung mündete, das ihm einen direkten Zugang auf die D50
ermöglichte. Von dort aus waren es nur noch drei Kilometer bis zur Auffahrt auf
die Autobahn A20. Er machte es sich zur Gewohnheit, seine Einkäufe bei
Carrefour in Limoges zu erledigen, wo er so gut wie sicher war, niemanden aus
dem Dorf anzutreffen. Er fuhr im Allgemeinen dienstags bei Geschäftsöffnung
dorthin, da er festgestellt hatte, dass zu diesem Zeitpunkt der Kundenandrang
am geringsten war. Er hatte den Supermarkt manchmal ganz für sich – was schon
fast an
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