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Späte Sühne - Island-Krimi

Späte Sühne - Island-Krimi

Titel: Späte Sühne - Island-Krimi
Autoren: Bastei Lübbe
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Montag, 12. Oktober
    01:45
    »Erinnerst du dich an mich?«, fragte jemand an der Tür zur Toilette. Sie stand halb offen. Ein feister Mann wusch sich an einem halbkugelförmigen Waschbecken aus glänzendem Edelstahl die Hände.
    »Ja, wir haben heute Abend schon einmal kurz miteinander gesprochen«, antwortete er, ohne aufzublicken.
    »Richtig, wir haben uns vorhin unterhalten. Du erinnerst dich aber nicht an mich?«
    »Sollte ich das?«
    »Ja, aber vielleicht erkennst du mich nicht mehr.«
    »Tja«, sagte der feiste Mann und schüttelte die nassen Hände über dem Waschbecken ab.
    »Es ist viele Jahre her, Anton. Ich war damals erst neun.«
    Der feiste Mann, der Anton hieß, nahm ein sauberes Handtuch von einem Tisch neben dem Waschbecken und trocknete sich sorgfältig die Hände ab. Anschließend fuhr er sich mit dem Handtuch durch das aufgedunsene Gesicht und wischte sich Schweißperlen von der Stirn.
    »Ein gutes Alter«, sagte er.
    Eine Weile herrschte Schweigen, bis der andere Mann leise, nahezu flüsternd sagte: »Es war mein letztes gutes Jahr.«
    Anton drehte sich um und blickte zur Tür. Er betrachtete den Mann, der in der Tür stand, eine Weile nachdenklich. Die tiefliegenden kleinen Augen lebten auf, und um die Mundwinkel zuckte so etwas wie ein Lächeln.
    »Doch, ich erinnere mich an dich. Ich habe dich noch ein paar Jahre nach unserer Begegnung im Auge behalten«, sagte er schließlich und fügte hinzu: »Du warst der Erste.«
    »Was du nicht sagst«, entgegnete der andere immer noch so leise, dass er kaum zu hören war. »War ich das wirklich?«
    »Ich weiß, dass ich mich damals ziemlich ungeschickt angestellt habe. Wahrscheinlich habe ich dich verletzt.«
    »Ja.«
    Anton legte das Handtuch hin und ging zur Tür. Der andere wich zur Seite, und Anton trat auf den Flur. Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als wolle er zur Treppe, die in die unteren Stockwerke führte, doch dann hielt er inne und steuerte auf ein Zimmer auf der anderen Seite des Korridors zu. Der andere folgte ihm.
    Es war ein geräumiges Büro mit einem großen Schreibtisch am Ende des Raums. Anton griff nach dem Schalter neben der Tür und machte Licht. Ohne sich umzublicken, sagte er: »Ich bin viel zu überstürzt und dilettantisch vorgegangen. Ich war damals gerade erst achtzehn und bei den ersten Malen viel zu unbeherrscht.«
    »Ja«, sagte der andere, »sehr wahrscheinlich warst du das.«
    Anton zog eine Zigarre aus der Brusttasche seines Jacketts, schob sie sich in den Mund und zündete sie mit einem zierlichen Gasfeuerzeug an. Seine ohnehin schon fleischigen Backen blähten sich noch mehr auf, als er kräftig an der Zigarre zog, um eine ordentliche Glut zu entfachen.
    Dann sprach er weiter, während er mit dem Feuerzeug zwei Kerzen anzündete, die in hohen Kerzenleuchtern auf einem niedrigen Couchtisch standen.
    »Danach habe ich aber bald gelernt, wie man vorgehen sollte«, sagte er. »Danach habe ich nie wieder jemanden verletzt. Ich verstehe mich darauf, dass sich die Jungen bei mir wohlfühlen. Ich bringe ihnen bei, sich selber zu erforschen.«
    Beide Männer schwiegen eine Weile und sahen sich an. Schließlich brach der andere das Schweigen: »Du vergehst dich also immer noch an Kindern?«
    Anton schüttelte herablassend den Kopf. »Ich habe mich niemals an jemandem vergangen, das ist die Wahrheit. Diese Ausdrucksweise zeugt von nichts anderem als Ignoranz, solche Lügen werden von Leuten verbreitet, die nicht wissen, was intime Freundschaft und Liebe ist. Ich helfe den Jungen dabei, reif zu werden. Ich eröffne ihnen wunderbare Dimensionen, ich bringe sie dazu, ihren Körper auf eine vollkommene Weise zu spüren. Wenn ich an sie herankomme, bevor sich die Pubertät allzu negativ auswirkt, gelingt mir das immer. Sie weinen vor Wonne, wenn wir fertig sind.«
    Der andere Mann rang nach Atem. »Was für Jungen sind das? Wie schaffst du es, damit durchzukommen?«, fragte er mit zittriger Stimme.
    »Man muss natürlich sehr vorsichtig vorgehen, es grassieren so viele Vorurteile. Ich fahre meist nach Indonesien. Die Jungen dort sind so hübsch.«
    »Und hat dich wirklich nie jemand angezeigt?«
    »Angezeigt? Nein, selbstverständlich nicht. Ich bezahle gut, und es ist für alles gesorgt. Ich verkehre auch nur in den besten Häusern.«
    »Großer Gott. Verkaufen dir die Leute ihre Kinder?«
    Anton ging quer durchs Zimmer und setzte sich auf einen ausladenden Schreibtischstuhl, bevor er antwortete. »Die Gastgeber kennen
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