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Kapitalismus Forever

Kapitalismus Forever

Titel: Kapitalismus Forever
Autoren: W Pohrt
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bleiben!«
    Schlichtweg genial. »Oben bleiben!« – das ist der kategorische Imperativ aller Arrivierten. So denken die Bessergestellten, die in Halbhöhenlage wohnen, über den Autoabgasen und dem Pöbel. So denken die abstiegsbedrohten Mittelständler. So denkt überhaupt jeder, der noch einen unter sich hat.
    Von mir selbst hatte ich geglaubt, dass es mir eigentlich nur darum ginge, mich bei Bahnreisen nicht wie die Kanalratte in der Rohrpost fühlen zu müssen. Der Zug ist das einzige Verkehrsmittel, mit dem man noch vor sich hin dösend das Vorbeifliegen der Landschaft genießen kann, und ich liebe das.
    Inzwischen bin ich mir meiner selbst nicht mehr so sicher. Ich sah auf den Demonstrationen zu viele Leute aus meiner Altersgruppe. Und als Rentner erkennt man, vielleicht ohne es selbst zu wissen, in der Parole »Oben bleiben!« noch einen tieferen Sinn, so tief wie die Grube, wie das Grab, das auf einen wartet. »Oben bleiben!« – so klingt es aus tausend Kehlen, wenn aus dem Greis wieder das Trotzköpfchen wird, weil er nicht ins Gras beißen will. Und dann heißt der Bahnchef, der S21 durchpaukt, auch noch »Grube«. Kein Wunder, dass er bei Rentnern nicht beliebt ist.
    So ist das bei Bewegungen. Man weiß nicht, was die anderen wollen – das wäre noch verständlich. Schlimmer: Man weiß nicht mal genau, was man selbst will, und welche Saiten es waren, die in der eigenen Brust angeschlagen wurden. Eine plausible Rationalisierung hat man natürlich schnell zur Hand, zumal als Profi in der Branche Sinn & Bedeutung. Aber die wirklichen Motive und die treibende Kraft liegen oft viel tiefer und verborgen.
    Und was am Ende bei so einer Bewegung herauskommen wird, das weiß man natürlich überhaupt nicht. Oft ist es das Gegenteil des Bezweckten. In Stuttgart zum Beispiel gleich zwei Übel statt nur einem, also nicht Bahnhofsgruft allein, sondern Bahnhofsgruft + Kretschmann. Wer weiß, wozu es gut ist. Auf einer der zahlreichen Demos wurde ein Plakat hochgehalten. Darauf stand: »Mappus war überheblich. Kretsch­mann ist erbärmlich.« Für ein Ministeramt, so die Erkenntnis, fressen die Grünen jedem aus der Hand. Und sie fressen alles, nicht nur Bio. Die Wege zur Weisheit sind eben oft beschwerlich und dornenreich. Und teuer. Vielleicht sollte man den Aufwand für die Milliardengruft unter dem Posten Volksbildungskosten verbuchen.
    Lächerlich ist die Gegenwart, die Vergangenheit war es vergleichsweise nicht. Die Mao-Kittel und die Che-Guevara-Baskenmützen damals zum Beispiel sind nicht lächerlich, sondern Jugendtorheiten gewesen, die Protagonisten waren in einem Alter, wo man sich gern modisch kleidet. Lächerlich wird es erst, wenn heute in die Jahre gekommene Veteranen selbst das Mainzelmännchen machen und sich für Zeitungen ablichten und abbilden lassen, was sie nicht getan hatten, als sie noch jung gewesen waren.
    Aber die Alterseitelkeit, wie man sie heute so oft beobachten kann, im Fernsehen bei Heiner Geißler oder gerade in der Meinungsbranche und in der schreibenden Zunft, ist wohl ein unausweichlich vergreisende Populationen begleitendes Dekadenzphänomen, großartig beschrieben von P.D. James in ihrem Roman »Das Land der leeren Häuser«. Die Über-30-Partys gibt es schon, die Über-60-Partys werden folgen. Einer, der das schon früh gesehen und in ein Bild gefasst hat, war Roman Polanski in seinem »Tanz der Vampire«. Die gruselig-komische Ballszene am Ende des Films entpuppt sich vierzig Jahre später als prophetisch.
    Früher habe ich die Rentner verachtet, Leute, die nichts anders tun und wollen als nicht abtreten und uralt werden. Schon der Gedanken an die Rente, selbst das Wort, war mir ein Graus. Und jetzt bin ich selbst eine dieser vegetierenden Mumien. Aber die Pointe kommt noch: Ich stelle fest, dass ich genau dies eigentlich schon mein ganzes Leben lang gewesen bin, abgesehen von der kurzen Zeitspanne, als die Aussicht auf so ein schäbiges Leben das Motiv für den Protest gegen die Gesellschaft, den Imperialismus und was weiß ich noch alles gewesen ist, ein Motiv, das man dann später irgendwo zwischen Marx und Murks ganz aus den Augen verloren hat, wofür man am Ende die Quittung bekommt.
    Es geht ums ungelebte Leben. Der Protest dagegen war damals die treibende Kraft hinter den Widerstandsaktionen gegen Notstandsgesetze, In­sti­tutsordnungen und all den Kram, an den man sich gar nicht mehr erinnert. Man hat in jeden Knochen gebissen, der einem hingeworfen wurde.
    In jenem
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