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Kapitalismus Forever

Kapitalismus Forever

Titel: Kapitalismus Forever
Autoren: W Pohrt
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Arbeiterbewegung zurück. Aber die war doch schon immer der Schrott gewesen, als welcher sie sich 1914 entpuppte. Der Blick zurück ist ein Blick in den Spiegel. Und mit Entsetzen stellt man fest, dass es immer schon so war, wie es heute ist.
    Die Veränderungen, die viele aus der älteren Generation zu erkennen meinen, sind oft nur eine Sinnestäuschung. Wir verändern uns, wir werden alt. Die Welt verändert sich nicht. Wenn eine Mühle tut, was sie immer tut, nämlich sich weiter zu drehen, ist das keine Veränderung, sondern Kontinuität.
    Manchmal knirscht es dabei ein bisschen. »Rickeracke geht die Mühle mit Geknacke«, heißt es in »Max und Moritz«. In der Mühle knackt es, weil gerade Max & Moritz reingefallen sind. Es handelt sich aber um keine Knochenmühle, sondern eine Getreidemühle, und das Mahlwerk reagiert auf das Material, wofür es nicht ausgelegt ist, mit Misstönen. Aber deshalb bleibt die Mühle nicht stehen. Sie mahlt einfach weiter, und das ist es, was der Marxismus signalisiert.
    Normalerweise ist er die Ruhe nach dem Sturm im Wasserglas. Also erst herrscht Bewegung, und wenn die nicht mehr weiter kann und zerfällt, kommt der Marxismus. Das war in der UdSSR so gewesen, das war in der DDR nicht anders, das war im ganzen früheren Ostblock so, und sogar in Kuba. Castro wurde Marxist, als er aufgehört hatte, Revolutionär zu sein. Heute ist es ähnlich und doch anders, die Sache fängt schon mit dem dicken Ende an, die Bewegungsphase wird übersprungen. Wie von 1000 Demonstrationskilometern erschöpft verkriechen sich die Leute in die Leseecke. Irgendwie ist das komisch. Andererseits passend dazu, dass heute schon Kita-Kinder unter Burnout-Syndrom leiden. So wird aus dem Aufbruch ein Zusammenbruch, und man kann das gar nicht mehr unterscheiden, ob einer sich aufrappelt oder zusammenkracht.

Bildung ist Verblödung
    Wenn man sich dem Nest einer Amsel nähert, entsteht bei ihr ein Konflikt zwischen widerstreitenden Interessen. Einerseits drängt es sie, ihre Brut zu schützen. Anderseits zwingt der Selbsterhaltungstrieb sie dazu, die Flucht zu ergreifen. Sie macht dann folgendes: Sie fliegt fort, bleibt aber in der Nähe. Dort lässt sie sich nieder und fängt an, sich zu putzen. Aber nicht aus Eitelkeit, sondern weil ihr nichts Besseres einfällt. Auch Menschen fassen sich aus Ratlosigkeit gern an den Kopf oder sie fahren sich mit der Hand über die Stirn, wie wenn sie ein Haar wegstreichen würden. Eine ähnliche Reaktion ist der Marxismus.
    Manche sagen, ein gutes Buch wie »Das Kapital« sei für den Leser immer ein Gewinn. Wenn sie statt »Leser« »Verleger« sagen würden, wäre es wenigstens betriebswirtschaftlich richtig. Die Nachtragenden unter diesen Leuten, die Gehässigen mit dem Elefantengedächtnis, halten mir dann auch noch vor, ich selbst hätte früher mal verlautbart, in Zeiten des Stillstands, also in Zeiten, in der es keine Bewegung gibt, sei die Beschäftigung mit Marx das Vernünftigste, was man machen kann.
    Das war nicht der einzige Unfug, den ich gesagt oder zu Papier gebracht habe. Wie kann man Menschen empfehlen, dass sie ihr kurzes Leben, statt es zu genießen, mit dem »Kapital« vertrödeln? Allerdings habe ich damals noch keine Ossis gekannt, die kamen ja erst später. Bei den Ossis war Marx nämlich Pflichtlektüre gewesen, und man sieht doch, was dabei herausgekommen ist, nämlich die Ossis. Wenn jemand heute noch, in Kenntnis dieses Sachverhalts, in Kenntnis der Ossis, von der »Kapital«-Lektüre als Breitensport sich eine geistige Ertüchtigung der Landsleute erhofft, dann leidet er unter Realitätsverlust. Also die Ossis kannte ich noch nicht, aber Adornos »Theorie der Halbbildung« kannte ich gut, und als ich selbst unterrichtete, habe ich um Marx stets einen ganz großen Bogen gemacht. In sechs Jahren gab es einen einzigen Versuch, zusammen mit Eike Geisel und Günther Mensching. Wir hatten »Zentralbegriffe der Marx­schen Theorie« als Seminar angeboten, wenn ich es recht erinnere, und waren nur beschäftigt damit, die Schäden zu reparieren, welche die Kapitallektüre in den Köpfen der Studenten angerichtet hatte.
    Klüger ist dabei keiner geworden, eher dümmer, insofern, als die Leute nun glaubten, für eine mitgebrachte Dummheit Bestätigung gefunden zu haben durch eine anerkannte Autorität, eben diesen Marx. Aus dem Zusammenhang gerissene und deshalb unverstandene Passagen bei Marx können auch Wasser auf die Mühlen der Freunde der
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