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Kapitalismus Forever

Kapitalismus Forever

Titel: Kapitalismus Forever
Autoren: W Pohrt
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Theoriegeklapper die Verständigung behindert, ist kein Einzelfall. Er ging dem Verfall der Protestbewegung nur entschlossen voran. Als den engagierten Studenten Begriffe wie Kapital, Ausbeutung, Imperialismus noch Kristallisationskern verschiedenster Leiderfahrungen waren, hatte Habermas die Worte schon zum Material akademischer Tüfteleien entwertet.
    Das Wegfiltern von Erfahrungsinhalten kennzeichnet die Begriffsbildung der Sozialforschung überhaupt: Arbeit für endloses monotones Leiden; Interaktion für Sprechen, Lachen, Gestikulieren; Rollenspiel für das wie eine Leichenhalle temperierte psychische Klima des Verkehrs unter den Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft.
    So beschnitten ist die Theorie ohnmächtig, wo ihr keine administrative Gewalt zur Seite steht. In ihr kommen keine individuellen und kollektiven Leiderfahrungen befreiend zur Sprache, die zu materieller Gewalt werden und als solche die Gesellschaft zertrümmern könnten. Der Filter, durch den die Erfahrungen gepresst werden, ehe sie in die Einöde sozialwissenschaftlichen Vokabulars münden, sind auf die Eliminierung der wirklichen Bedürfnisse lebendiger Menschen geeicht.
    Dass man in der neuen Linken heute von der geölten Maschine einer Partei träumt, ist kein Zufall. Eliminierung von Inhalten und Technokratisierung gehen Hand in Hand.
    Wer anders als die administrative Gewalt eines Parteiapparates vermöchte auch dem monotonen Singsang von Kapitalismus und Imperialismus, Grund- und Nebenwiderspruch usw. zu praktischen Konsequenzen verhelfen.
    Die gleichen Begriffe, deren aufschließende Kraft sich einst in der revolutionären Radikalität der Studentenrevolte zeigte, sind auf dem besten Weg, so inhaltsleer und tautologisch zu werden wie das Gebetsmühlengeklapper aus den Propagandaorganen des Ostblocks. Die Ein­dimensionalisierung der Sprache wird gegenwärtig von Teilen der neuen Linken selbst forciert.
    Die Studentenrevolte war eine sozialistische Bewegung von Kleinbürgern. Dieser Widerspruch zur orthodoxen Revolutionstheorie ist nicht zu verdrängen oder in diffamierender Absicht auszuspielen, sondern er ist festzuhalten als die lebensgeschichtliche Identität der ein-zelnen engagierten Studenten wie als Identität dieser Bewegung überhaupt.
    Zu viele sind an der Geschichte dieser Bewegung zugrunde gegangen, manche durch Selbstmord – ein Grund mehr, die gespaltene Identität von friedlichem Kleinbürger und militanten Revolutionär ernst zu nehmen.
    Die lebensgeschichtlichen Klippen, an denen zu scheitern man permanent Gefahr läuft, haben ihre Schärfe vielleicht in folgendem Umstand: Während der Arbeiter der fragwürdig ge­wordenen orthodoxen Theorie zufolge schon durch seinen naturwüchsigen Zusammenhang mit der bürgerlichen Gesellschaft und in diesem Zusammenhang potentiell Revolutionär ist, wird es der Kleinbürger nur durch die radikale Liquidierung seines Zusammenhangs mit der bürgerlichen Gesellschaft. Seine Politisierung und Radikalisierung hat zur Voraussetzung die existenzielle Entscheidung, an seiner ursprünglichen naturwüchsigen Identität Selbstmord zu verüben. Das bedeutet: Bruch mit Familie, familiären Freundschaften, der Perspektive auf ein bürgerliches Leben, Studium, Beruf usw. Damit ist der revolutionäre Kleinbürger praktisch eine postrevolutionäre Existenz. Dem Umstand, daß die Utopie sein Lebenselexier ist, verdankt er seine eigentümliche kritische und antizipatorische Kraft wie das Prekäre seiner Existenz.
    Nach vollbrachter Tat ist der Kleinbürger ein Deklassierter. Bei Gelegenheit einer Rezension nennt Benjamin den politisierten Intellektuellen einen ›Lumpensammler, frühe – im Morgengrauen des Revolutionstages‹. In diesem Zusammenhang ist Benjamins Mitteilung wichtig, dass im Milieu der Boheme zwischen Berufsverschwörern und Lumpenproletariat gar nicht mehr unterschieden werden konnte. Die Nachtasyle der Penner in Bahnhöfen und U-Bahn­schächten haben mit der Revolution gemein­sam, dass sie jenseits der bürgerlichen Gesellschaft liegen. Für den deklassierten Kleinbürger ist die Revolution eine Existenzfrage, die er mit unerbittlicherer Radikalität beim geringsten Hoffnungsschimmer verfolgen wird als der Proletarier, der in der bürgerlichen Gesellschaft als Arbeiter immerhin auf seine Weise heimisch ist. Es ist kein Zufall, dass die Kontakte der Studentenbewegung zu anderen Gruppen sich auf ausgeflippte Proletarier – Rocker, Fürsorgezöglinge – beschränkten oder auf
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