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Kapitalismus Forever

Kapitalismus Forever

Titel: Kapitalismus Forever
Autoren: W Pohrt
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Arbeiter, die zur Deklassierung bereit waren und im Gefolge ihrer Politisierung ihren Job an den Nagel hängten.
    Die Klassengesellschaft zerschlagen könnte heute heißen: die Deklassierung organisieren. Die Angestellten zu politisieren kann doch nur heißen, ihnen bewusst zu machen, dass sie keine Angestellten mehr sein wollen. Die Opel-Arbeiter politisieren kann doch nur heißen, ihnen klar zu machen, dass sie keine Opels mehr bauen und keine Arbeiter mehr sein wollen.
    Die gediegenen, redlichen, rationalistischen, positiven, optimistischen, kurz spießigen Züge der Arbeiterbewegung sind heute allesamt obsolet geworden. Revolution kann in den kapitalistischen Metropolen nicht heißen: Aufbau des Sozialismus, sondern: Zertrümmerung der Warenwelt. Die erste Aufgabe des ›Hammerschlags der Revolution‹ wäre es, die physische Warenwelt zu zerklopfen. Diese Destruktionsarbeit wäre die einzig noch vorstellbare positive und sinnvolle.
    Die Deklassierung organisieren könnte heißen: auf synthetischem Wege jene Erfahrungen herstellen, deren naturwüchsiges Zustandekommen bei den engagierten Studenten die Basis der existenziellen Entscheidung war, den Zusammenhang mit der bürgerlichen Gesellschaft zu liquidieren. Es ist keine Frage, dass eine Revolution in den kapitalistischen Metropolen ohne diese Entscheidung nicht auskommt. Die Strategie der unendlich vielen kleinen Vernunftsschritte im Lernprozess des Proletariats verrät nur den aufklärerischen Aberglauben an die Allmacht der Rationalität. Dass diese Konzeption idealistisch und voluntaristisch anmutet, daraus kann ihr kein Vorwurf gemacht werden. Für den traurigen und entmutigenden Umstand, dass es für die vernünftige Einrichtung der Welt wohl keinen machtvollen Garanten mehr gibt, sondern vorläufig nur die hilflose Geste eines entschiedenen Willens zum Besseren, ist sie gewiss nicht verantwortlich zu machen. Dass solche Überlegungen keine Schreibtisch-Esoterik sind, zeigen etwa die Sabotageakte junger weißer Arbeiter in den neuen Werken von General Motors. In solchen Aktionen haben sich Arbeiter von dem quietistischen Ammenmärchen befreit, je entwickelter der Kapitalismus, und je reicher und besser die Produktivkräfte, desto näher der Sozialismus. Hier­bei wird aufgezeigt, dass es idiotisch ist, noch vom Doppelcharakter der Ware zu sprechen und mit der Wünschelrute nach produktiver Arbeit zu suchen, wo doch die Wertform die Naturalform längst total okkupiert hat. Revolutionär ist der Arbeiter heute eben nicht als »produktiver« sondern nur noch als kollektiver Saboteur.
    Die Revolution heute erfordert eine ganz andere Radikalität als im 19. Jahrhundert. Konnte man damals glauben, dass die gegenständliche Welt nur ihren Besitzer wechseln müsse und man danach frisch ans Werk gehen könne mit dem Aufbau einer vernünftigen Gesellschaft, so ist es heute notwendig, die gegenständliche Welt zu zerschlagen. Sie ist unbrauchbar, materialisierte Brutalität, materialisierte Isolierung – materialisierter Kapitalismus. Man steht gewissermaßen vor der Aufgabe, die Resultate einer hundertjährigen Fehlentwicklung beseitigen müssen, um wieder an den Punkt zu gelangen, wo die Revolution notwendig gewesen wäre, aber versäumt wurde. Der war vor 100 Jahren. Benjamin hat Recht wenn er sagt, die Komplexität der Welt vereinfache sich sehr schnell wenn man sie nur unter dem Aspekt betrachtet, was an ihr zerstörenswert ist.
    ›Wem der Boden nicht so heiß ist, dass er ihn lieber mit jedem anderen vertausche, als dass er da bliebe, dem habe ich nichts zu sagen. Aber auch wir ... meinen, daß wir denen, die angesichts des heraufkommenden Bombengeschwader des Kapitals noch allzu lang fragen, wie wir uns dies dächten, wie wir uns das vorstellten und was aus ihren Sparbüchsen und Sonntagshosen werden soll nach der Umwälzung, nicht viel zu sagen haben.‹ (Brecht, Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus)
    Brecht widerspricht hier dem Aberglauben, revolutionäre Radikalität wäre verbal, in rationaler Diskussion kommunikabel zu machen. In der Tat: Was haben wir dem Arbeiter zu sagen, der kleinbürgerlich um sein Sparbuch, sein Auto und seine Sonntagshosen fürchtet? Was hilft es, ihm den Terminus der Ausbeutung unter die Nase zu reiben, wenn dieser eine analytische Kategorie ist, von der alle erfahrbaren Inhalte abgezogen sind? Was hilft es auch, seine Ängstlichkeit zu beschwichtigen durch die Versicherung, für ihn und seine Habseligkeiten bestehe gar
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