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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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Einführung
     
     
    Was habe ich getan, eine solche Züchtigung
     zu verdienen?
     
    «Ein Wort, das trifft, vermag zu töten
    oder zu demütigen, ohne daß man sich
    die Hände schmutzig macht.
    Eine der großen Freuden des Lebens ist es,
    seinesgleichen zu demütigen.»
     
    Pierre Desproges
     
     
    Es gibt Begegnungen im Leben, die so anregend sind, daß wir unser Bestes zu geben versuchen, aber es gibt auch solche, die uns zermürben und an denen wir zerbrechen können. Ein Mensch kann einen anderen tatsächlich durch fortgesetztes seelisches Quälen vernichten, was man mit Fug und Recht «psychischen Mord» nennen kann. Wir sind alle schon auf verschiedenen Ebenen Zeugen solcher Angriffe gewesen, zwischen einem Paar, innerhalb von Familien, in Betrieben oder auch im politischen und sozialen Leben. Trotzdem erweist sich unsere Gesellschaft als blind gegenüber dieser Form indirekter Gewalt. Unter dem Vorwand von Toleranz wird man nachsichtig.
    Seelische Perversionen und was sie anrichten können zeigen Filme wie Die Teuflischen von Henri-Georges Clouzot (1954) oder Kriminalromane, und dabei ist jedem klar, daß es sich um perverse Manipulationen handelt. Aber im Alltagsleben wagen wir nicht, von Perversität zu sprechen.
    In dem Film Tante Danièle von Etienne Chatiliez (1989) amüsieren wir uns über die seelischen Qualen, die eine alte Dame ihrer Umgebung zufügt. Sie beginnt damit, daß sie ihre alte Hausangestellte derartig peinigt, daß sie deren «Unfalltod» herbeiführt. Der Zuschauer sagt sich: «Geschieht ihr recht, sie war zu unterwürfig!» Anschließend überschüttet sie die Familie ihres Neffen, die sie bei sich aufgenommen hat, mit ihrer Bosheit. Der Neffe und seine Frau tun alles, was in ihren Kräften steht, um sie zufriedenzustellen, aber je mehr sie geben, desto mehr quält sie sie.
    Zu diesem Zweck setzt sie Techniken der Destabilisierung ein, wie sie bei Perversen üblich sind: versteckte Anspielungen, böswillige Andeutungen, Lügen, Demütigungen. Man wundert sich, daß die Opfer nicht merken, daß sie manipuliert werden. Sie versuchen zu verstehen und fühlen sich verantwortlich: «Was haben wir nur getan, daß sie uns derart verabscheut?» Tante Danièle leistet sich keine Wutausbrüche, reagiert nur kalt und gemein; aber auch nicht allzu offenkundig, um ihre Umgebung nicht gegen sich aufzubringen: nur immer mal wieder eine kleine unscheinbare Bosheit, wohldosiert und destabilisierend, aber schwer dingfest zu machen. Tante Danièle ist äußerst geschickt: Sie stellt die Situation auf den Kopf und nimmt den Platz des Opfers ein, versetzt die Familienmitglieder in die Rolle der Verfolger, die eine alte Frau von zweiundachtzig Jahren mutterseelenallein sich selbst überlassen haben, eingesperrt in eine Wohnung, mit Hundefutter als einziger Nahrung.
    In diesem humorvollen Filmbeispiel nehmen die Opfer nicht Zuflucht zu Gewalttätigkeiten, wie es im gewöhnlichen Leben geschehen könnte; sie hoffen, ihre freundliche Art werde schließlich doch Anklang finden und ihr «Aggressor» sich besänftigen. Doch stets tritt das Gegenteil ein: Zuviel Freundlichkeit wirkt wie eine unerträgliche Herausforderung. Die einzige Person, die am Ende Gnade vor Tante Danièles Augen findet, ist eine neu Hinzugekommene, vor der sie kuschen muß. Endlich hat sie einen Partner gefunden, der ihr gewachsen ist, und eine beinahe zärtliche Beziehung entwickelt sich.
    Wenn diese alte Frau uns dermaßen amüsiert und bewegt, dann doch wohl, weil man spürt, daß so viel Bosheit nur von vielem Leid herrühren kann. Sie erregt unser Mitleid, wie sie das Mitleid ihrer Familie erregt, und eben dadurch manipuliert sie uns, wie sie ihre Familie manipuliert. Wir Zuschauer haben nicht das geringste Mitgefühl mit den armen Opfern, die uns schön dumm vorkommen. Je boshafter Tante Danièle sich aufführt, desto liebenswürdiger werden ihre anverwandten Partner und folglich unausstehlich für Tante Danièle – aber auch für uns.
    Nichtsdestoweniger handelt es sich um perverse Angriffe. Diese Aggressionen beruhen auf einem unbewußten Prozeß psychologischer Zerstörungswut, der sich darstellt in offenen oder versteckten feindseligen Machenschaften eines oder mehrerer Individuen gegenüber einer ausgewählten Person, dem «Prügelknaben» im eigentlichen Sinn des Wortes. Durch scheinbar harmlose Worte, durch Anspielungen, Einflüsterungen oder Nichtausgesprochenes ist es in der Tat möglich, jemanden zu destabilisieren oder
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