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Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Titel: Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
Autoren: Trevanian
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    Abend auf der Main, die Geschäfte schließen. Die Auslagekästen sind von den Gehsteigen verschwunden, Rolläden rasseln runter. Ein, zwei Lichter bleiben brennen, um Einbrecher abzuschrecken; eine leere Registrierkasse steht halb offen, damit Diebe sie nicht unnütz aufbrechen. Die Bars haben auf und die Cafés; aus Lautsprechern pladdern Lärmduschen über die Gehsteige. Menschen dicht gedrängt, die hochgezogenen Schultern gegen die feuchte Kälte gestemmt. Die Jungen und die Eiligen verlieren die Geduld in der dahinkriechenden, gesichtslosen Watte. Sie stoßen und drängeln, machen die Alten nervös und die Trägen böse. Die Stimmung ist gereizt. Wochenlanges Hundewetter zerrt an den Nerven, bleierne Wolken drücken auf die Stadt und verzögern den Beginn des Winters mit sauberem Schneegeriesel und schmuckem blauem Himmel. Alle stöhnen über das Wetter. Nicht die Kälte macht einen fertig, sondern die Nässe.
    An den Straßenecken und an den Mülltonnen auf den Bordsteinen gerät der Schwarm ins Stocken. Die Menge wogt und wirrt, dicht gedrängt und doch allein. Gespannte Gesichter, sorgenvolle Gesichter, leere Gesichter, alle auf einer Seite beleuchtet vom grellen Neonlicht der Cafés, Bars und Imbißstuben.
    Im Schaufenster eines Fischladens steht ein Glasbassin, Algen an den Wänden. Ein einsamer Karpfen gleitet in dumpfer Verzweiflung hin und her.
    Schuljungen in dicken Mänteln und kurzen Hosen, den Ranzen auf dem Rücken, schlängeln sich mit verfrorenen Gesichtern und blaufleckigen Beinen durch die Menge. Ein großer Junge haut einen kleineren. Weg ist er. Der Kleine will ihm nach, tritt einem Mann auf den Fuß. Der flucht und klebt ihm eine. Der Junge rennt weiter, betroffen und Tränen der Wut in den Augen.
    Jetzt haben einige Fußgänger genug von den Stauungen und Stockungen und brechen auf den Fahrdamm aus, drücken sich zwischen verbotswidrig geparkten Wagen und dem nordwärts fließenden Verkehr hindurch. Geplagte Lkw-Fahrer lehnen auf der Hupe und fluchen, und wer Mut hat, flucht zurück und zeigt ihnen einen Vogel. Geflucht, geschrien, geschimpft und geschwatzt wird auf französisch, jiddisch, portugiesisch, deutsch, chinesisch, ungarisch, griechisch – das allen gemeinsame Kauderwelsch ist Englisch. Die Main ist ein Einwandererbezirk, und wer neu ist in Kanada, lernt rasch, daß Englisch die Sprache des Erfolges ist, und nicht Französisch. Im Fenster einer Bank bezeugen Schilder die Eigenart der Straße:
    H ABLAMOS E SPAÑOL O MI O YMEN E ΛΛ HNIKA P ARLIAMO I TALIANO W IR SPRECHEN D EUTSCH F ALAMOS P ORTUGUÉS
    Ein abgedroschener Witz hier lautet:
    »Ich möchte bloß mal wissen, wer in dieser Bank die ganzen Sprachen spricht.«
    »Die Kunden!«
    Das Geschäftsleben auf der Main geht ständig auf und ab. Alle naselang machen neue Läden auf, mit großen Hoffnungen und Plänen; meistens gehen sie pleite, und ein neuer Mann mit neuen Plänen und den alten Hoffnungen fängt im gleichen Laden von vorne an. Manchmal bleibt nicht mal die Zeit, das Firmenschild auszuwechseln. Ein Laden mit dem Schild F ARBEN führt Stoffe en gros und en détail.
    Manche Läden wechseln zwar nie den Besitzer, aber ständig ihr Sortiment auf der Suche nach einem profitversprechenden Zusammentreffen von Kundennachfrage und Großhandelsangebot. Mit der Zeit geben die Ladeninhaber die Jagd nach dem Phantom Erfolg auf, die Wogen des Wechsels ebben ab und hinterlassen ein bunt zusammengewürfeltes Strandgut an Waren. In denselben vier Wänden kriegt man Campingzubehör und Baskenmützen, Batterien und Kurzwaren, Ansichtskarten und Babyausstattungen, ein bißchen beschädigt und angeschmutzt und zu erstaunlich herabgesetzten Preisen. Diese Läden kennt man nur unter dem Namen des Besitzers; anders lassen sie sich gar nicht beschreiben.
    Wieder andere Läden finden die Aufgabe, pleite zu gehen, so kompliziert, daß sie schon seit Jahren weiterwursteln.
    Der Zeitungshändler steht neben seinem Kiosk, die Hände hat er zum Wärmen unter der Schürzentasche mit dem Geld. Er tritt von einem Fuß auf den anderen und klimpert rhythmisch mit dem Kleingeld. Nie schaut er die Passanten an. Er gibt an Hände raus. Er brabbelt mit sich selbst und nickt sich Beifall zu.
    Zwei Menschen drücken sich in eine Toreinfahrt und sprechen leise miteinander. Sie schaut ihn besorgt über die Schulter an. Seine Stimme hat den Singsang des steten Zuredens, das den Stein höhlt.
    »Komm schon. Was meinst du?«
    »Tja, ich weiß nicht. Ich
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