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Kapitalismus Forever

Kapitalismus Forever

Titel: Kapitalismus Forever
Autoren: W Pohrt
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Teil des Stuttgarter Schlossparks, der nun bald Baugrube werden soll, haben sich Jungs von Robin Wood in schwindelnder Höhe Baumhütten gebaut. Die Bäume selbst sollen verteidigt werden und ein angeblich dort hausendes winziges Tier namens »Juchtenkäfer«, das ich noch nie gesehen habe. Lächerlich. So lächerlich wie unsere Aktionen gegen Notstandsgesetze und Institutsordnungen damals.
    Aber für die Jungs oben in den Bäumen ist es, zumal im Sommer, eine schöne Zeit, eine Gnadenfrist vor dem Abtauchen in die lebenslange Tretmühle, aus der es kein Entkommen mehr geben wird, und ein vielleicht letztmalig aufzuckender Widerstand dagegen. Und wenn ich nun diesen Jungs die Unsinnigkeit und Vergeblichkeit ihrer Aktionen unter die Nase riebe, dann wäre das so, wie wenn man einem zum Tode Verurteilten in die Henkersmahlzeit spuckt oder ihm erklärt, dass er eh keine Zeit haben wird, sie zu verdauen.
    Weil die gesellschaftliche Deformation der Individuen viel tiefer reicht und immer wieder Adornos Wort bestätigt, wonach es kein richtiges Leben im falschen gibt, werden Kabarett und Satire matt und fade. Die Merkel durch den Kakao ziehen hat nur Sinn, wenn dabei herauskommt, wie vermerkelt man inzwischen selbst geworden ist, und dass es dazu der Merkel gar nicht bedurft hätte. Das schafft man ganz aus eigener Kraft. Denunziation ohne Selbstdenunziation ist öde.
    Leider wird letztere gemieden und vermieden. Vor der eigenen Türe kehren will keiner. Es ist, ganz im Gegenteil, eine gewisse Selbstgefälligkeit zu konstatieren, vor allem in der Rückschau. Verlage wie Edition Tiamat in Berlin, Konkret in Hamburg, Ça Ira mit dem IFS in Freiburg, und auch die taz ­– sie alle und andere existieren inzwischen dreißig Jahre und länger, sie haben so lange durchgehalten, eine halbe Ewigkeit. Dort, wo sie jeweils angesiedelt sind, gehören sie schon zur Tradition, zur Lokalfolklore und zum kulturellen Erbe, sie sind mit den Jahren ein Partikel dessen geworden, was die Protestbewegung mit dem Ausdruck tiefster Verachtung als »Establishment« bezeichnet hatte. Sie sind eine Frequenz im monotonen Grundrauschen des Ensembles. Und ich beobachte interessiert, wie das eigene Durchhaltevermögen die Eigentümer oder Beteiligten mit unverkennbarem Stolz erfüllt, wo eigentlich Katzenjammer angebracht wäre. Sogar Betriebsjubiläen werden gefeiert wie bei Siemens oder Bosch. Es hatte eine Revolution werden sollen, und dann wurde es eine Papierschleuder im Dauerbetrieb. Ist das wirklich so toll? Ist es kein Elend, Bilanz zu ziehen und dabei feststellen zu müssen, dass man dreißig Jahre lang den gleichen Kram gemacht hat, ohne dass mehr als Lebenserhaltung dabei herausgekommen ist, und ohne Aussicht, dass es jemals anders werde?
    Und ist es nicht symptomatisch, dass dieser naheliegende Gedanke heute rigoros verdrängt wird? Dass man sich heute durch genau die verlogenen und schwachsinnigen Lobhudeleien, die aus Anlass solcher Jubiläen produziert werden, diesen Nachrufen zu Lebzeiten, gebauchstreichelt fühlt, die früher einen Lachanfall ausgelöst hätten? Ein Titel von Christian Schultz-Gerstein fällt mir dazu ein, nur der Titel, ich weiß gar nicht mehr, um was es dort ging: »Kranzschleifen für das Leben.« Genial.
    Was ist der Stolz aufs Durchhaltevermögen denn anderes als eine nachträgliche Preisgabe aller revolutionären Hoffnungen, und aller Hoffnungen der Jugend überhaupt? Spiegelt sich darin nicht genau die Lebensphilosophie des resignierten Spießbürgers, nämlich »Durchhalten!«, ganz gleich, ob man sich dabei marxistisch, kritisch, avantgardistisch, situationistisch, dadaistisch, kapitalistisch oder sonst wie kostümiert?
    Wer etwas erreichen will, geht das Risiko ein, zu scheitern. Wer streitet oder kämpft, geht das Risiko ein, zu verlieren. Wer vor fünfzig Jahren eine andere Welt erstreiten wollte, ist gescheitert, und er hat verloren. Der Niederlagen sollte man sich nicht schämen. Im Gegenteil, sie beweisen, dass man einmal etwas anderes wollte als das, was heute ist.
    Nur mit Trostpreisen sollte man sich nicht behängen. Sie beweisen das Gegenteil. Aber das ist keine neue Erkenntnis, schrieb ich doch schon 1976:
    »Die Glücklicheren unter denen, die einst Schule und Hochschule radikal infrage stellten, die in aktiven Streiks die Abschaffung des Dozenten proklamierten und die Selbstorganisa­tion des Studiums praktizierten, und die anhand der Thesen von Il Manifesto die Überflüssigkeit des
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