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Wiedersehen in Stormy Meadows

Wiedersehen in Stormy Meadows

Titel: Wiedersehen in Stormy Meadows
Autoren: Sarah Harvey
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    M agna, der amerikanische Verlagskonzern mit Sitz in New York, hat neben Paris und Hongkong auch in London eine Niederlassung. Das Bürogebäude an der Euston Road mit seinen zweiundzwanzig Stockwerken ist eines dieser Bauwerke, die das natürliche Licht der Umgebung reflektieren und daher unglaublich filigran wirken, obwohl sie aus sehr solidem Glas und Stahl bestehen. Seit Robs Tod ist dieses Gebäude so gut wie mein Zuhause – jedenfalls mehr als das Einfamilienhaus, in dem wir zusammengelebt haben.
    Seit sechs Jahren arbeite ich für die Frauenzeitschrift Naked, eine der großen Publikationen von Magna. Meine Arbeit war mir immer ausgesprochen wichtig, nicht zuletzt, weil ich hier den beiden Menschen begegnet bin, die in den vergangenen Jahren am meisten Einfluss auf mein Leben hatten: zuerst Petra, die mich von Anfang an unter ihre Fittiche nahm, und dann Rob.
    Rob habe ich kennengelernt, als ich einen Artikel über Männer in der von Frauen dominierten Welt des Balletts schrieb. Er war ein aufstrebender Theaterdirektor und einer meiner letzten Interviewpartner für diese Geschichte. Um ein Haar wären wir uns gar nicht begegnet, denn er sagte unser erstes Treffen ab und ich unser zweites. Als wir einen erneuten Versuch starteten, hatte ich eigentlich schon genug Material zusammen und wollte endlich loslegen, aber irgendetwas hielt mich davon ab, das Interview ganz abzusagen.
    Im Nachhinein bilde ich mir gern ein, dass das Schicksal höchstselbst hier seine Hand im Spiel hatte, aber wenn ich ganz ehrlich bin, wollte ich wohl einfach nicht unhöflich sein.
    Als wir uns schließlich trafen, erschien Rob zwar zehn Minuten zu spät, voller Entschuldigungen, weil er mich hatte warten lassen, aber sein Lächeln war so gewinnend, dass es mir im Sinn blieb, drei Wochen lang, bis er endlich den Mut aufbrachte, mich anzurufen und ein gemeinsames Abendessen vorzuschlagen.
    Über meinen Job bei Naked lernte ich also den Mann kennen, der mich lehrte, wieder zu lieben, und dafür werde ich ewig dankbar sein. Inzwischen bedeutet die Zeitschrift mir mehr als je zuvor. Sie ist mein Rettungsanker.
    In den letzten zwanzig Monaten habe ich praktisch nichts anderes gemacht als gearbeitet.
    Zwanzig Monate.
    Nicht zu glauben, dass es schon so lange her ist. Die Zeit scheint allen Naturgesetzen zu trotzen, sie rennt schneller als der schnellste Läufer und steht dabei still. Unser Hochzeitstag, Weihnachten, Robs Geburtstag, der Jahrestag des Unfalls … Alles kam und ging, als fände es irgendwo jenseits der Wirklichkeit statt.
    Ich lag am Boden und habe mich aufgerappelt, habe mir den Staub von den Hosen geklopft und gehe seitdem wie eine Schlafwandlerin durchs Leben. Weil ich nicht zurechtkomme mit dem, was vorgefallen ist, lenke ich mich ab. Von früh bis spät schufte ich härter als je zuvor in meinem Leben, dann falle ich erschöpft ins Bett. Aber schlafen kann ich nicht. Mein Kopf steckt so voller Gedanken, dass ich keine Zeit für Gefühle habe. Und auch keine Zeit, um über Rob nachzudenken.
    Auch Petra ist mein Rettungsanker.
    Petra James, die Überfliegerin. Eine Kunstsachverständige, deren Meinung so gefragt ist wie Centre-Court-Tickets für Wimbledon. Ihre Tätigkeit als Associate Art Director bei Naked ist für das Ansehen der Zeitschrift wichtiger als für ihr eigenes. Ihr Name taucht bei uns regelmäßig als Aufmacher auf der Titelseite auf, um eine breitere Leserschaft anzulocken.
    Für mich zählt in erster Linie, dass sie meine beste Freundin ist.
    Petra ist Amerikanerin, eins achtzig groß, ihre Haare haben die Farbe von Blutbuchenlaub. Und sie hat ein äußerst gesundes Selbstbewusstsein. Sie kann durchaus einschüchternd wirken, doch unter ihrer harten Schale ist sie der freundlichste, rücksichtsvollste Mensch, den ich je kennengelernt habe.
    Seit Robs Unfall gibt sie mir Kraft.
    Petra teilt ihre Zeit zwischen London und New York auf und fliegt regelmäßig hin und her. Für ihre Aufenthalte in London mietet sie sich eine schöne Wohnung in einem alten, denkmalgeschützten Haus am Regent’s Park. Doch in den letzten zwanzig Monaten hätte sie sich die Kosten dafür sparen können, denn nach dem Unglück ist sie praktisch bei mir eingezogen.
    Heute Abend komme ich wieder einmal spät von der Arbeit nach Hause. Petra erwartet mich mit einem Essen vom Chinesen und einer gekühlten Flasche Weißwein. Sie empfängt mich an der Tür, nimmt mir die Arbeitsordner ab, die ich mitgebracht habe, und reicht mir
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