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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke
Autoren: Antonia Michaelis
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Traum in der Luft. Und ich stürzte.
    Mama schrie.
    Meine Hände suchten in der Luft nach einem Halt – im Fallen bekam ich den Baumstamm zu fassen und klammerte mich daran fest. Meine Arme fühlten sich an, als müsstensie ausreißen. Ja, da hing ich nun – mit beiden Händen an einem Fichtenstamm, über dem brodelnden Finsterbach, mitten in Wind und Regen.
    »Lasse!«, rief Joern. »Halt dich fest! Ich komme!«
    Joern hatte keine Angst vor der Höhe. Er war der Einzige, der es wagte, über den glatten dünnen Stamm zu mir in die Mitte der Schlucht zu balancieren. Ich sah, wie er hastig Schuhe und Strümpfe abstreifte, und dann kam er durch Wind und Regen auf mich zu, das Haar zerzaust, das Hemd an seinen Körper geklebt. Als ich dachte, ich könnte mich keine Sekunde länger festhalten, war er bei mir. Er setzte sich rittlings auf den Stamm und zog mich hoch und einen Moment kämpften wir beide mit unserem Gleichgewicht. Schließlich schaffte ich es, einen Fuß über den Stamm zu bekommen.
    Der dürre Baum bog sich jetzt bedenklich. Doch er hielt. Ich saß wieder oben und bewegte mich im Sitzen zurück zu der Seite, von der ich gekommen war. Zur verkehrten Seite. Aber es war egal. Hauptsache, ich bekam festen Boden unter die Füße.
    Kurze Zeit später streckte Flint mir seine Hand entgegen und zog mich auf den Felsvorsprung: in seine Arme. Ich drehte mich um und dort saß Joern noch immer in der Mitte des Baumstammes, der einst Teil einer Brücke gewesen war.
    Auch er begann jetzt, ganz langsam rückwärtszurobben, zurück zu Mama, Onnar und Holm. Der Regen war noch stärker geworden. Man sah fast gar nichts mehr. Donnergrollte über den Himmel und der Wind wuchs sich zu einem Sturm aus, genau wie in der Nacht, als die Linde geknickt worden war.
    Und dann rutschte Joern ab. Ich weiß nicht, wie es geschah. Ich weiß nicht, ob es geschehen wäre, wenn er vorwärtsgerobbt wäre. Ich glaube, er dachte, Flint wollte nicht, dass er auf unsere Seite kam. Er griff nach dem Stamm, versuchte sich festzuhalten wie ich vorher – aber der Stamm war jetzt zu durchweicht und das Stück Rinde, an dem Joern sich festkrallte, rutschte mit ihm zusammen in die Tiefe.
    Ja, in die Tiefe.
    Die Tiefe der Todesschlucht.
    Er fiel ohne einen Laut. Nur Flop jaulte, als hätte jemand ihm ein Messer in die Flanke gerammt.
    Ich sah durch einen Schleier aus Regen, wie die Felsenzähne der Schlucht Joern in Empfang nahmen. Und die Strudel des Finsterbachs rissen weit unten eine kleine reglose Gestalt mit sich fort.
    Später suchten sie lange nach seinem Körper, mit einem Hubschrauber vom Krankenhaus. Sie haben ihn nie gefunden. Mein Traum ist wahr geworden. Nur war nicht ich es, der fiel. Wir wollten die Welten verbinden, Joern und ich, und wir haben sie verbunden.
    Aber er wird es nie erfahren.

Bis zu Ende
    I ch hatte einen Freund, ich, Lasse Windström.
    Ich hatte einen Freund, der ging mit mir durch dick und dünn, durch Nacht und Tag, durch Feuer und Wasser.
    Aber nun liegt er mitten im Wald unter der Erde und er liegt noch nicht einmal wirklich dort, denn in dieser Familie ist es wohl Tradition, leere Gräber zuzuschütten. Zuerst dachte ich jahrelang, meine Mutter wäre tot, dann dachte ich, mein Vater wäre tot, und nun, nun weiß ich, dass mein Freund tot ist. Mein Freund und Bruder.
    Sein Grab befindet sich auf der Lichtung, auf der früher die Linde stand. Die weißen Lilien darauf leuchten in der Sonne beinahe silbern. Olaf hat die Lilien gestern gepflanzt und heute früh sind sie aufgeblüht.
    Es ist jetzt alles anders auf dem Norderhof. Oder: Es ist dabei, anders zu werden. Flint hat eine Menge Dinge eingesehen. Er hat dafür gesorgt, dass sie Onnar freigelassen haben, und dafür, dass im Bergwerk und in der Fabrik alles sicherer gemacht wird. Und er hat alle Leute wieder eingestellt, die Pöhlke entlassen hatte. Irgendwann, sagt Flint, wird er das Bergwerk ganz schließen, denn er kann das Wort Nachtspat nicht mehr hören. Aber zunächst muss er sichüberlegen, wo man all die Leute beschäftigen kann, damit sie weiterhin ihr Geld verdienen.
    Pöhlke ist auf mysteriöse Weise verschwunden, samt seinem Sohn. Die meisten der früheren Chefs und Unterchefs des Bergwerks übrigens auch. Und Holm. Zusammen mit Nordwind.
    Über die Sache mit Nordwind war Flint natürlich traurig. Bei den anderen wollte er sich jedoch nicht die Mühe machen, sie suchen zu lassen. Er hat wichtigere Dinge zu tun.
    Er arbeitet von Sonnenaufgang bis
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