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Im Bus ganz hinten

Im Bus ganz hinten

Titel: Im Bus ganz hinten
Autoren: Fler
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1. Aller Anfang ist hart
Psycho!
    Ich stehe jetzt hier und schreie. Ich schreie diesen beschissenen Gang zusammen. Meine Stimme ist so laut, dass sie vermutlich noch durch die Fenster auf der Straße zu hören ist. Ich spüre die Wut als Rauschen in meinem Kopf. Ich will hier raus. Hier drinnen kann mir eh keiner helfen, niemand kann mir helfen, nirgendwo. Brüllend starre ich auf die Bilder an der Wand. Hässliche Bilder in billigen Rahmen – mit Blumen, Bergen und Bäumen. Ich balle meine Hand zur Faust und halte noch einen Moment lang inne. Ich atme noch einmal durch. Dann renne ich an die Wand und schlage mit voller Wucht die Glasscheiben der Bilderrahmen ein. Immer wieder und immer wieder. Die Splitter fliegen – und sie zerschneiden meine Hände. Die Scherben ritzen mir die Haut auf. Es fängt an zu bluten, und es tropft auf den Boden. Eigentlich sollte das jetzt ziemlich wehtun, aber ich merke nichts. Die Wut regiert alle Gefühle und Gedanken. Mein Körper ist voller Adrenalin, und ich schreie weiter:
    »Lasst mich endlich raus!« Ich zerschlage jedes einzelne dieser unerträglichen Scheißbilder. Und dann kommen sie: die Männer und Frauen in den weißen Kitteln.
    »Patrick, beruhig dich!«, ruft Zivi Henning. Aber die anderen sind mir egal. Man kann der Wut nicht einfach gut zureden, sie ein bisschen streicheln, damit sie zu schnurren beginnt. Ich mache weiter, bis mich plötzlich fünf Leute auf einmal packen. Mit aller Kraft zerren sie mich den Gang runter. Ich spucke in ihre Gesichter, trete wild um mich – ich schlage einfach überallhin, wo es nur geht. Es hilft alles nichts. Diese Wichser schleifen mich in ein kahles Zimmer mit einer Liege, drücken mich darauf, halten mich fest und fesseln mich. Sie schnallen dicke Ledergurte um meine Arme und Beine. Jetzt kann ich nichts mehr machen. Okay, ich kann noch immer schreien und fluchen.
    Ich bin so verzweifelt, dass mir Tränen die Wangen herunterlaufen. Es hört gar nicht mehr auf. Ich bin vollkommen hilflos – jetzt werde ich offiziell für verrückt erklärt.
    »Du hast kein Recht, hier so durchzudrehen«, sagen diese Typen zu mir und lassen mich dann liegen. Allein. Kein Ton ist zu hören in dem Zimmer. Ich winde mich von links nach rechts. Ich schüttele panisch meinen Kopf. Ich will nur noch weg. Nach einer Stunde gebe ich auf. Die Fesseln schnüren mir eh schon das Blut ab. Alles tut weh. Und dann ist die Wut plötzlich verschwunden. Ich fange innerlich an zu lachen. Irgendwie ist die Situation so dermaßen beschissen, dass es schon wieder witzig ist. Wenn man endlich in der Klapse gelandet ist, dann sollte man sich wenigstens mal fesseln lassen, denke ich. Ich komme mir vor wie in einem Film. Wie in meinem Film, der in einer Nervenheilanstalt in Berlin-Lichtenberg spielt. Ich bin gerade erst 14 Jahre alt und spiele die Hauptrolle. Bombe! Herzlich willkommen in meinem Leben.
Die erste Erinnerung
    Aber fangen wir doch hübsch von vorn an. Eine einfache Kindheit hatte ich definitiv nicht. Schon bei der Geburt war ich zu schnell, ich war viel zu klein und wäre beinahe, noch bevor es spannend wurde, gestorben. Natürlich habe ich überlebt – sonst wäre das Buch ja an dieser Stelle schon vorbei. Ich war also als Baby ein halbes Hemd. Aber: Ich sah ganz süß aus. Ich hatte große blaue Augen, nur wenige Haare auf dem Kopf und eine kleine Steckdosennase. Auf der Straße wurde meine Mama von allen beneidet und von wildfremden Menschen angesprochen.
    »Sie sollten Ihr Kind zum Film schicken. Oder zur Werbung!« Aber aus meiner Karriere als Kinderstar wurde nichts. Meine Mutter hatte zu viele andere Dinge im Kopf.
    Sie war Schneiderin. Mein Vater war Alkoholiker. Und nebenbei Truckfahrer. Vielleicht war es auch umgekehrt, jedenfalls waren meine Eltern keine asozialen Penner, sie haben ihr Leben lang hart gearbeitet. Meiner Mutter war es enorm wichtig, nach außen den Schein einer anständigen Familie zu wahren, aber tief im Inneren sah die Sache natürlich anders aus. Ich habe nie mitbekommen, dass die beiden sich lieb gehabt hätten. Bei uns gab es keine Umarmungen, keine Küsse. Eigentlich ist Streit das Einzige, woran ich mich erinnern kann. Eine der ersten Szenen, die mir im Gedächtnis geblieben ist, ist folgende: Ich muss etwa drei Jahre alt gewesen sein und saß mit meiner Mama am Esstisch.
    Ich löffelte begeistert meinen Lieblingsbrei mit Äpfeln – davon konnte ich nicht genug bekommen, den würde ich noch essen, bis ich fünf oder sechs
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