Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit
Autoren: Paul Gallico
Vom Netzwerk:
einzureden, sie sei schwächer als er. Sie war ja auf den Gedanken gekommen, wie man Hannahs finanzielle Anordnung umgehen konnte — sie wollte mit ihm leben, ohne ihn zu heiraten. Was war das für eine Moral!
    Ja, Clary war schwach. Das hatte er von Anfang an gewußt. Aber ihre Schwäche machte sie erst menschlich. Sie holte sie von jenem Podest herab, auf das in den Vereinigten Staaten allzu viele Frauen gehoben wurden, so daß sie aufhörten, warm und herzlich zu sein, und ihrer Männer nicht mehr bedurften. Und in diesem Augenblick wurde ihm klar, daß gerade ihre Schwäche ihm Stärke verlieh — und umgekehrt mußte es ebenso sein. Wenn sie nach Haus zurückkehrten, würden sie beide wieder wie Schwimmer sein, die in einem wilden und gefährlichen Meer kämpften, in einem Meer, das sie immer von neuem bedrohen würde. Aber sie konnten sich dann gegenseitig stützen.
    Und schließlich hatte er noch einen ganz sonderbaren Gedanken, als er sich all das durch den Kopf gehen ließ und er über seine Entscheidung nachdachte: Der Schluß dieser ganzen Geschichte bewies eine so göttliche und dramatische Ordnung und Logik, daß man vielleicht nicht allzuviel daran herumbasteln sollte.
    Es war fast so, als ob Hannah es auf diese Weise geplant hätte. Er hatte aus selbstsüchtigen Gründen ein Spiel mit ihr getrieben und sie zu seinem Opfer gemacht. Nun, es war alles ganz anders ausgegangen, als sie es sich vorgestellt hatten. Sie war ihm, sich selbst und allen andern entwischt und offenbar glücklich gestorben — und niemand von all den Menschen, die darauf ausgewesen waren, von ihrem Geld zu leben, bekamen auch nur einen roten Heller, nicht einmal Clary, die bereit gewesen war, ihre Jugend und ihr Geburtsrecht dafür zu verkaufen. Und was ihn selber betraf, so war er wieder genau dort, wo er angefangen hatte — aber er war nicht mehr allein.
    Er blickte zu dem Mädchen ihm gegenüber auf und sah nicht die schönen Augen, die reifen Lippen, das ovale Gesicht mit den vollkommenen Zügen, sondern einen warmen, ein wenig jämmerlichen, verwirrten und hilfsbedürftigen Menschen, der bereit war, ihm zu geben, was immer er sich wünschte, soweit es in seiner Macht lag.
    Sears lächelte ein wenig verzerrt, schloß die fünf Finger seiner rechten Hand zur Faust und stieß damit Clary sanft unters Kinn. «Bist du wirklich so eine dreiste Straßendirne? Reicht es dir nicht, wenn du mich Bastard in der Familie hast? Müssen es wirklich noch eine Menge kleiner Bastarde sein, die außer mir herumlaufen? Wir heiraten!»
    Clary griff nach seiner Faust, drückte sie eine Weile mit beiden Händen an ihre Stirn und legte dann ihre Wange dagegen. Einen Augenblick später fühlte er, daß Tränen darüberrannen.
    Sears fragte: «Habe ich das Falsche gesagt?»
    Clary schüttelte den Kopf, hielt seine Faust fester und klammerte sich daran.
    «Es ist nur die Erleichterung, Joe. Begreifst du denn nicht, daß damit alles zwischen uns gelöst ist? Wenn du stark sein kannst, wo ich schwach bin, brauche ich mich nie wieder zu fürchten — vor gar nichts...»
    Eine Weile später fragte sie: «Weißt du genau, daß du glücklich sein wirst, Joe, wenn du mich heiratest und wieder ganz von vorn anfangen mußt?»
    Er betrachtete sie mit neuem Ernst und großer Zärtlichkeit. «Nein», erwiderte er, «das weiß ich ganz und gar nicht genau. Aber so wünsche ich es mir zufällig jetzt gerade. Es ist wahr, daß nur ein Gimpel eine Vorgabe ausschlägt, die man ihm anbietet, aber ebenso wahr ist es auch, daß alle Leute den Kämpfer bewundern, der keine Vorgabe erhält.»
    Er nahm eine ihrer Hände, ballte sie zur Faust, bedeckte sie mit seiner freien Hand und drückte sie an seine Wange. So saßen sie noch eine Weile, blickten einer dem andern ins Gesicht und genossen es, die Augen zu sehen, die nicht mehr bewölkt und furchtsam waren. Dann beugte sich Sears langsam vor und rieb zweimal seine Nase an der ihren, ehe er sie küßte.

37

    Was sehet ihr scheel, ihr großen Gebirge, auf den Berg, da Gott Lust hat zu wohnen f Und der Herr bleibt auch immer daselbst.
    psalm 68, 17

    Im Meggido-Hotel in Haifa fand Ben-Isaak Clary beim Packen. Er fragte: «Darf ich reinkommen?»
    «Ja, gern, Ben-Isaak.»
    Er trug immer noch die Shorts und die kurzärmelige Khakijacke, die er auf dem Ausflug angehabt hatte, sah jedoch magerer und älter aus. Der Tod Hannahs hatte ihn tief getroffen.
    Er setzte sich auf einen Kabinenkoffer und sah Clary eine Weile an. «Das ist
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher