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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit
Autoren: Paul Gallico
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wenig später öffnete sie die Augen und sah mich an. Dann schloß sie sie, schien sich zu entspannen und einzuschlafen. Ich wartete noch eine Viertelstunde, bis ihr Schlaf so tief war, daß sie nicht merkte, wenn ich hinausging.»
    Er hielt eine Weile inne, ehe er sanft, mit tiefer und väterlicher Zärtlichkeit, schloß: «Aber als ich meine Hand aus der ihren lösen wollte, wurde ich unruhig. Ich betrachtete sie genauer. Dann wußte ich, daß sie nie wieder etwas quälen würde.»
    Sie schwiegen lange Zeit, nachdem er geendet hatte. Schließlich fragte Clary: «Darf ich hinaufgehen und sie sehen, Doktor Levi?»
    «Ja», erwiderte er, «gern.»
    Clary stand auf und ging mit festem Schritt durch den vom Mond erhellten Garten zu den Wohnwagen, während die beiden Männer sitzen blieben und ihr nachblickten. Sears fragte Dr. Levi: «Sollte sie das tun?»
    Er entgegnete: «Ja, lassen Sie sie gehen.»
    Ein wenig später erschien ihre Gestalt wieder in der hellen Tür des Fahrzeugs. Sears ließ Dr. Levi auf der Mauer sitzen, sprang auf und ging zu Clary. Sie blieb in der Tür stehen und wartete auf ihn. Als er sie erreichte, war er überrascht von dem Ausdruck auf ihrem Gesicht.
    Er sagte: «Was ist, Clary? Kannst du nicht weinen?»
    Sie sah ihn an, als hätte sie ihn nicht verstanden. «Weinen?» sagte sie. «Aber sie ist ja so glücklich...»

36

    Sei mir ein starker Fels und eine Burg, daß du mir helfest!
    PSALM 31,3

    Nach der einfachen Beerdigung auf dem kleinen Friedhof hinter dem Hospiz in Ain Tabigha blieb Ben-Isaak bei seinem Onkel, doch Sears und Clary gingen im schweigenden Einverständnis miteinander fort und wandten, ohne ein Wort zu sprechen und fast aus Instinkt, die Schritte nach Osten am Seeufer entlang.
    Auf Clarys Verantwortung war Hannah dort in Galiläa begraben worden, denn als davon gesprochen wurde, Vorbereitungen zu treffen, um sie mit nach San Francisco zurückzunehmen, hatte Clary aus tiefstem Herzen ausgerufen: «O nein! Laßt sie hier ruhen, wo sie den einzigen Frieden, das einzige Glück gefunden hat, das ihr je zuteil wurde. Was hat sie denn noch mit den Dingen zu tun, die in Amerika zurückgeblieben sind?»
    Sears sagte nur: «Schließlich liegt ihr Vater in San Francisco in einem Mausoleum.»
    Dr. Levi bemerkte leise: «Sie ist bereits bei ihrem Vater...»
    Ben-Isaak sagte: «Sie wollte mich nicht verlassen», und Clary: «Achtet man denn nicht die Wünsche der Toten?»
    Sears sah sie fragend an.
    «Hast du die letzten Worte vergessen, die sie sprach ?« In das folgende Schweigen hinein wiederholte sie sie: «Ich möchte hierbleiben, Doktor Levi.»
    Das Begräbnis war einfach, und die, die Hannah begleitet und sie in Israel kennengelernt hatten, nahmen daran teil: Clary, Dr. Levi, Sears, Ben-Isaak und die Chauffeure und Angestellten, die die Expedition gebildet hatten. Ed Avery und Schlomo kamen mit einem halben Dutzend Palmach-Männern von Dan herunter.
    Pater Hofstätter hielt den Gottesdienst, und Ben-Isaak las den dreiundzwanzigsten Psalm: «Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln.» Dieser Psalm hatte Hannah in der Stunde der Not Trost gebracht. Dr. Levi sprach zum Abschied die Zeilen aus dem Kaddisch:
    «Nur der Leib ist gestorben und in den Staub gebettet. Der Geist lebt ewig im Schutz von Gottes Liebe und Gnade. Woher soll uns Hilfe und Tröstung kommen? Unsere Hilfe kommt von Gott. Er wird uns nicht aufgeben und uns nicht verlassen in unserer Not. Auf ihn werfen wir unsere Last, und er gewährt uns Kraft gemäß den Tagen, die er uns zugeteilt hat. Alles Leben kommt von ihm, alles Leben kehrt zu ihm zurück, alle Seelen stehen in seiner Hut.»
    Und dann wurde Hannah mit der Erde Galiläas bedeckt.

    Sears und Clary kamen an das Schilfdickicht, wo der flachbodige Kahn noch so lag, wie sie ihn verlassen hatten. Sie fuhren nicht hinaus, doch sie stiegen hinein und setzten sich einander gegenüber; so blieben sie eine Weile, ohne zu sprechen, jeder mit den eigenen Gedanken beschäftigt.
    Für Clary war es das letzte Abschiednehmen von der Frau, die sie so lange gekannt, für die sie gearbeitet hatte und mit der ihr Leben so eng verknüpft gewesen war. Nun war das vorüber; das Band war zerschnitten. Die Tote war beklagt worden.
    Sie sagte: «Gib mir eine Zigarette, Joe.»
    Er steckte eine an und reichte sie ihr. «Schwer getroffen, Kind?»
    Sie erwiderte: «Es ist nun vorüber. Man kann nicht allzulange traurig über etwas sein, das von
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