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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit
Autoren: Paul Gallico
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heiratest, hört diese Rente automatisch auf.»
    «Ja, Joe. Nun weißt du es. Willst du mich trotzdem noch heiraten?»
    Er antwortete nicht, beobachtete sie jedoch aufmerksam.
    Clary sagte: «Es gibt noch einen andern Weg. Möchtest du, daß ich mit dir lebe, Joe? Das ist die einzige Möglichkeit, die Regelung mit der Rente zu umgehen. Wenn du es willst, werde ich es tun. Aber du mußt die Entscheidung treffen. Oder ich heirate dich und verliere das Geld, wenn du das wünschst.»
    Sears schaute einen Augenblick auf seine weichen, gepflegten Hände und blickte auch nicht auf, als er zu sprechen anfing.
    «Ich mache mir etwas aus Geld. Das ist immer so gewesen. Es bedeutet mir verdammt viel. Wenn man es hat, stützt es die Moral, und man fühlt sich behaglich und anständig. Wenn man weiß, womit man die nächste Mahlzeit bezahlt, kann man es sich leisten, auch ein wenig an die andern Menschen zu denken. Nur ein Narr weist Geld zurück, wenn er es haben kann.» Er schaute zu Clary auf. «Wenn ich recht verstehe, bietest du mir das Mädchen an und das Geld dazu. Wäre ich nicht der größte Gimpel von der Welt, mir das entgehen zu lassen?»
    Ihm gegenüber, auf der andern Seite des kleinen Bootes, faltete Clary die Hände und begegnete seinem herausfordernden Blick. «Ja», sagte sie gelassen, «das wärest du wohl.»
    «Und du nicht auch?» setzte er hinzu. «Wir sind beide Produkte der Zeit; wir sind keine Narren. Wenn man die Wahl hat zwischen dem Kampf gegen die Armut, mit einem Schwindler, dessen Fähigkeiten, Geld zu verdienen, sehr zweifelhaft sind, und zwischen dem Kuchen, den man behalten kann, obwohl man ihn ißt, dann dürfte die Entscheidung ziemlich klar sein. Daran mußt du gedacht haben.»
    «Ich habe daran gedacht, Joe. Und ich habe den Vorschlag selbst gemacht. Aber du mußt die letzte Entscheidung treffen. Ich werde tun, was du sagst. Was willst du? Oder möchtest du erst darüber nachdenken?»
    Das tat Sears bereits.
    Und die Gedanken waren für einen Mann wie Joe Sears sehr merkwürdig. Es war fast so wie damals, als er die Vision von Clary mit der karierten Schürze vor dem Bungalow gehabt hatte, doch nun sah er sich selbst in der Rolle so vieler seiner Mitbürger, die sich von morgens bis abends in einer. alltäglichen Stellung abrackerten, um für Frau, Kinder und sich selber das tägliche Brot zu beschaffen; sie gaben ihr Leben, ihre Kraft und alle Energie in einer stumpfen und montonen Vorstellung hin, die man gegen Dollars eintauschen konnte; und diese wiederum ließen sich ins Geschäft tragen und gegen Lebensmittel und Kleidung einwechseln; er war erstaunt, welche unerklärliche Anziehung dieses Bild plötzlich auf ihn ausübte. Es nahm sogar einen leicht heroischen Zug an. Auf eine unheimliche Weise verkehrte dieses Bild alles, was er bisher geglaubt hatte, und ihm schien es, als ob vielleicht die Einfaltspinsel, die Mitglieder der Herde, die Gimpel, die Gesichtslosen, die am Feierabend aus Geschäften und Büros und Fabriken strömten, die Klugen wären, die, um die es sich lohnte.
    Und er dachte: Vielleicht ist es nun Zeit, daß ich das Leben einmal von der Seite der Gimpel aus versuche, und wenn nur deshalb, weil’s etwas Neues wäre.
    Aber gleichzeitig wußte er, daß er sich damit nicht zum Narren machen würde. Das, was ihm im Dorf Beit Jebel und in der Hermonhöhle zugestoßen war, hatte ihn tief aufgewühlt, und bei der Richtung, die seine Gedanken nun nahmen, war es besser, es gleich zuzugeben: wenn man auch mit jedem Spiel fertig wurde, so war damit noch lange nicht gesagt, daß man auch mit sich selber fertig wurde. Er hatte das Entsetzen kennengelernt, das mit einem Blick in die eigene Seele Hand in Hand gehen kann.
    Er sagte sich, er wolle kein Betrüger sein, ja, er wolle nicht einmal wie ein Seiltänzer auf der schmalen Grenzlinie zwischen Ehrlichkeit und Unehrlichkeit balancieren und sich dabei einreden, er gehe über festen Boden. Aber er wußte auch, daß er sein ganzes Leben lang versucht sein würde, es doch zu tun, einfach weil er Joe Sears war. Doch nun stellte er fest, daß er ein gewisses Gefühl der Stärke und des Halts in sich verspürte. Von jetzt an würde er nicht nur sich selber ins Auge zu sehen haben, diesem Joe Sears, mit dem hundert Jahre zu leben er geglaubt hatte nicht ertragen zu können, sondern auch ihr.
    Einen Augenblick lang kämpfte er gegen diese Vorstellung, weil sie ihm unangenehm war. Im Geist beschuldigte er Clary sogar und versuchte sich
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