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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit
Autoren: Paul Gallico
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seltsam angespannt wirkten.
    Clary, die feinfühligere und intuitivere, blieb stehen, ihre Hände falteten sich vor der Brust. «Doktor Levi — Pater Hofstätter», rief sie, «was ist geschehen? Ein Unglück?»
    Die beiden Männer wechselten einen Blick. Dann sagte Dr. Levi: «Mein liebes Kind, Sie müssen sich auf eine Erschütterung gefaßt machen. Wir haben Ihnen etwas Ernstes und Trauriges mitzuteilen.»
    Sears trat an Clarys Seite und legte einen Arm um ihre Hüften. Man brauchte es ihm nicht mehr zu sagen, ihr auch nicht. Es schien, als ob sie es beide zur gleichen Zeit gewußt hätten, und doch sagten und taten sie die Dinge, die man immer tut.
    Clary rief: «Es ist etwas geschehen. Ist Hannah krank?»
    Dr. Levi sagte ruhig: «Hannah ist nicht mehr...»
    Sears spürte, wie das Mädchen zitterte, und schloß den Arm fester um sie. Er fragte: «Ist nicht mehr... Was meinen Sie damit?»
    Dr. Levi sagte sanft: «Es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber Hannah ist vor einer Stunde gestorben.»
    Clary legte die Hände vors Gesicht und flüsterte: «O nein, nein, das kann nicht...»
    Pater Hofstätter trat zu ihr und legte ihr die Hand auf den Arm. Er sagte: «Sie ist friedlich im Schlaf gestorben. Alles, was getan werden konnte, ist getan worden. Dr. Ascher ist auf dem Weg von Tiberias hierher, aber er kann nicht mehr tun, als den Tod feststellen. Sie war müde, nun hat sie Ruhe. Trösten Sie sich.» Einen Augenblick später wandte er sich ab und ging zum Hospiz hinauf.
    Sears fand seine Stimme wieder. Er sagte zu Dr. Levi: «Was ist ihr zugestoßen? Wurde sie krank? Ich verstehe das nicht.» Er war tief erschüttert und von einem Schuldgefühl erfüllt. Sein Verstand brachte alles, was geschehen war, in Verbindung miteinander und rief ein heftiges Gefühl des Versagens in ihm hervor. Hatte er sich nicht irgendwie verpflichtet, sie auf immer am Leben zu erhalten?
    Dr. Levi sagte: «Wir wollen uns setzen, dann erzähle ich es Ihnen.»
    Sie befanden sich nahe der Ecke einer niedrigen grauen Mauer, die die Terrasse stützte; von hier aus blickte man über den See mit dem hellen Pfad des Mondes, der sich leuchtend bis an die dunkle Uferlinie zu ihren Füßen erstreckte. Dort setzten sie sich, Dr. Levi den beiden gegenüber, so daß das Mondlicht auf seine ausdrucksvollen Züge fiel. Sears nahm eine Zigarette heraus und gab auch Clary eine.
    «Gut für die Nerven, Kind», sagte er, während er sie ihr anzündete. Beim Aufflackern des Streichholzes sah er, daß sie sich wieder in der Gewalt hatte. «Bitte, Doktor...»
    Dr. Levi begann: «Es war kurz nach neun Uhr. Ich ging allein im Garten spazieren, um meine Nachtischzigarre zu rauchen, als ich Hannah aus dem Wohnwagen rufen hörte: Ich antwortete ihr, worauf sie sagte: Ich ging hinein und setzte mich zu ihr. Sie lag mit mehreren Kissen unter Kopf und Schultern und schaute über den See hinaus. Der Mond stand so niedrig, daß sein Licht auf ihr Gesicht fiel und ich seinen Ausdruck sehen konnte. Aber die Nacht war warm, und ich glaubte, das sei der Grund, weshalb sie nicht schlafen konnte.»
    Sears fragte: «Was sagte sie?»
    Dr. Levi überlegte einen Augenblick, ehe er antwortete. Dann sagte er nur: «Sie brauchte Trost und Beruhigung. Sie wurde von Dingen gequält, die uns alle quälen, wenn wir alt werden und wissen, daß wir uns mit dem Unausweichlichen abfinden müssen.»
    Clary fragte leise: «Konnten Sie ihr helfen?»
    Dr. Levi beantwortete die Frage nicht unmittelbar. Statt dessen sagte er: «Wir haben lange miteinander gesprochen. Wohl länger als eine Stunde. Ich sah, daß sie sehr blaß und müde war; alle Farbe schien ihr Gesicht verlassen zu haben, doch die Züge waren weich und die Hände entspannt. Ich glaubte, sie werde schlafen können, und schlug vor, sie der Ruhe zu überlassen. Doch sie bat mich zu bleiben. So blieb ich schweigend an ihrem Bett. Nach einer Weile sprach sie wieder. Ich legte meine Hand in die ihre, und sie umklammerte sie fest. Es war, als ob ein Kind, das nicht schlafen kann, die Hand des Vaters umklammert...»
    Sears fragte: «Sagte sie irgend etwas, ehe sie starb?»
    Dr. Levi erwiderte: «Sie sprach zweimal. Einmal seufzte sie tief und sagte: Ein
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