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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren
Autoren: Héctor Tobar
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zugleich die ausfransenden Ränder des häuslichen Lebens, auf der Hut vor herumliegendem Spielzeug, halb vollen Papierkörben und unerledigten Hausaufgaben. Der Anblick ihres mit dem Rasenmäher ringenden Mannes ließ sie kurz an den Spitzen ihrer kupferbraunen Haare kauen. Sah la señora die gelblich herausgefrästen Halbkreise am Beginn des Abhangs, fragte sich Araceli, oder fühlte sie sich lediglich davon abgestoßen, wie der Schweiß ihres Mannes auf den Beton tropfte? Araceli betrachtete la señora Maureen, die el señor Scott betrachtete, und bemerkte etwas Interessantes: Wenn man lange genug mit jemandem zusammenlebte oder -arbeitete, konnte man seinen Blick länger auf dem Betreffenden ruhen lassen, ohne bemerkt zu werden; Pepe, ein Fremder im Hause, hatte Araceli immer sofort bemerkt, sobald sie ihn anstarrte.
    Ähnlich wie ihre mexikanische Hausangestellte hatte auch Maureen Thompson die verstörende Sinnlosigkeit der Szenerie jenseits der Fensterscheibe gespürt: Ihr Theoretiker, ihr abwesender großer Denker, den sie in postkoitalem Flüstern einmal den »König des einundzwanzigsten Jahrhunderts« genannt hatte, scheiterte an diesem Samstagnachmittag an einem technologischen Relikt des vergangenen Jahrtausends. Sie waren jetzt zwölf Jahre verheiratet, hatten berufliche Triumphe und unternehmerische Demütigungen, finanzielle Glücksfälle und durchwachte Nächte an der Seite ihrer Kinder durchlebt, aber noch nie eine derartige Komödie wie diese. Es fällt ihm schon schwer, das Ding überhaupt am Laufen zu halten. Eine mit Benzin betriebene Maschine, vollkommen analog; wie kompliziert kann das schon sein? Ihre Augen schwenkten zu den zugezogenen Vorhängen der Nachbarhäuser, den leeren Fenstern, die den leeren kalifornischen Himmel spiegelten, und sie fragte sich, wer wohl noch zusah. Sie hatte den Berechnungen ihres Mannes nicht zugestimmt, den hingekritzelten Zahlen, die im Endergebnis die Entlassung des mehr als nur kompetenten und verlässlichen Gärtners zur Folge gehabt hatten, eines Mannes von edler Schweigsamkeit, der in Maureens Vorstellung einst den tropischen Boden in einem fernen Dorf bearbeitet hatte. Scott war eher der Softwaretyp – sowohl buchstäblich, denn er schrieb Computerprogramme, als auch bildlich gesprochen, da für ihn die dingliche Welt eine verwirrende Ansammlung unverständlicher biologischer und mechanischer Phänomene war, so unnachvollziehbar wie beispielsweise der wundersame Vorgang der Photosynthese oder die geheimnisvolle Artenvielfalt südkalifornischer Unkräuter oder eben die subtilen Bewegungen, die vonnöten waren, um einen Rasenmäher über eine unebene Fläche zu manövrieren. Später wird er darauf zurückblicken und lachen. Ihr Mann war geistreich und witzig mit einem guten Gespür für Ironie, auch wenn ihn Letzteres, nach dem verschwitzten Grimm seiner Züge zu urteilen, gerade verlassen hatte. Harte körperliche Arbeit treibt einem die Ironie aus : eine Lehre aus ihrer eigenen Kindheit und Jugend, die Maureen nun unerwartet wieder einfiel.
    Es war nur ein kurzer Weg zum zweiten Panoramafenster des Wohnzimmers. Die Scheibe ging nach hinten auf den Tropengarten hinaus, dessen schleichender Niedergang auf seine Art noch deutlicher zu erkennen war als der Wildwuchs des Rasens vorn. Diesen Garten hatten sie angepflanzt, kurz nachdem sie vor fünf Jahren hier eingezogen waren; sie hatten die tausend Quadratmeter hinter dem Haus sinnvoll nutzen wollen, und bis jetzt hatte die Anlage wie ein einziger dunkler, feuchter Organismus geglitzert und geschimmert und die hindurchwehende Luft abgekühlt. Wenn man einen Schalter umlegte, floss ein halbmeterbreiter Bach durch den Garten bis zu einem kleinen Teich hinter der Bananenstaude. Jetzt rissen die Bananenblätter ein, und die Farne daneben färbten sich golden. Bald nachdem Pepe entlassen worden war, hatte Maureen einen halbherzigen Versuch unternommen, » le petit Regenwald«, wie sie und Scott die Pflanzung nannten, vom Unkraut zu befreien. Sie hatte sich zunächst in den hinteren Teil der Garage gewagt, in dem Pepe seine Chemikalien aufbewahrte; Maureen hatte keinen grünen Daumen, nahm aber an, dass gewisse petrochemische Eingriffe nötig wären, um in diesem trockenen Klima einen tropischen Garten zu pflegen: Insektizide, Pestizide und Düngemittel. Leider hatte sie sich von den Warnsymbolen auf den Flaschen abschrecken lassen: Maureen hatte erst kurz zuvor abgestillt und war noch nicht bereit, die
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