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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren
Autoren: Héctor Tobar
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Haut verbrennen? Die Vorstellung, dass diese Menschen knapp bei Kasse waren, wollte ihr nicht einleuchten. Aber warum sonst sollte Maureen dem Baby die Windeln selbst wechseln und den Jungen entnervte Blicke zuwerfen, wenn sie zu lange an ihren elektronischen Spielzeugen festhingen? Guadalupe, die angehende Lehrerin, war nicht mehr da, lenkte die Jungen nicht mehr mit ihren Spielen ab, mit Seifenblasen draußen auf dem Rasen oder mit mexikanischen Lotteriekarten drinnen im Haus, zu denen Brandon und Keenan dann auf Spanisch die passenden Begriffe wie »El corazón« und »El catrín« und »¡Lotería!« riefen. Durchs Aussichtsfenster des Wohnzimmers betrachtete Araceli el señor Scott, wie er sich mühte, den Rasenmäher über die hintere Kante der Rasenfläche zu schieben, wo der Hang steil abfiel. TORO stand auf dem Fangsack an der Seite. Kein Wunder, dass el señor Scott so einen Stress hatte: Der Rasenmäher war ein Stier! Nur Pepe in glitzernder Stierkämpferuniform mit goldenen Epauletten konnte den Toro vorwärtslocken.
    Araceli machte el señor Scott eine Limonade und ging ins grelle Licht hinaus, um sie ihm zu bringen, um vor allem aber seine Arbeit zu überprüfen.
    »¿Limonada?« , fragte sie.
    »Danke«, sagte er und nahm das feuchte Glas. Wassertropfen liefen daran herunter wie die Schweißtropfen über el señor Scotts Gesicht. Er schaute weg und inspizierte die Grashalme, die über den Betonweg gespritzt waren, welcher die Rasenfläche in der Mitte durchschnitt.
    »Die Arbeit. Ist sehr hart«, versuchte es Araceli. » El césped . Das Gras. Ist sehr dick.«
    »Ja«, sagte er mit misstrauischem Blick, denn so viele Worte war er von seiner zuverlässigen, ansonsten aber unwirschen Hausangestellten nicht gewohnt. »Der Rasenmäher ist zu alt.«
    Aber für Pepe war er gut genug! Araceli warf einen Blick auf den Rasen, sah die braunen Halbmonde, die el señor Scott versehentlich in den grünen Teppich gepflügt hatte, und versuchte, nicht unzufrieden auszusehen. Pepe hatte an dieser Stelle immer eine Pause gemacht, um die Schnitthöhe des Mähers zu verstellen, und Araceli war nach draußen gekommen, um ihm Limonade zu bringen, genau wie jetzt el señor Scott. Pepe hatte dann »Gracias« gesagt und ihr ein keckes Lächeln geschenkt, wenn er sie einen Augenblick ansah, ehe er sich rasch wieder abwandte.
    El señor Scott schluckte den letzten Tropfen der Limonade hinunter und gab Araceli das Glas ohne ein weiteres Wort zurück.
    Auf dem Rückweg ins Haus deprimierte sie der Geruch des frisch gemähten Grases. Wie schlimm stand es um die Finanzen?, fragte sie sich. Wie lange würde el señor Scott den Rasen noch selbst mähen und mit dem Toro kämpfen? Was passierte im Leben dieser Leute? Sie hatten Guadalupe gehen lassen, und nach Guadalupes Zorn zu schließen, hatten sie ihr nicht die zwei Monatslöhne Abfindung gezahlt, die in guten Häusern in Mexiko City Standard waren – sofern man nicht die silbernen Löffel geklaut oder die Kinder misshandelt hatte. Araceli wurde klar, dass sie sich mehr für das Leben ihrer Arbeitgeber würde interessieren müssen. Sie spürte Entwicklungen, die bald auch das Leben einer unwissenden und vertrauensvollen mexicana beeinflussen würden. Aus der Küche schaute sie noch einmal nach draußen zu el señor Scott. Er harkte den Rasenschnitt zusammen, der am Auffangkorb vorbeigeflogen war, machte kleine grüne Haufen, nahm die Haufen dann in beide Arme und stopfte ihn in einen Müllsack, wobei die Halme an seinen verschwitzten Armen und Händen hängen blieben. Sie sah, wie er das Gras abstreifte und dabei plötzlich ein unerwartetes Pathos ausstrahlte: El señor Scott, der wenig überzeugende Herr dieses aufgeräumten, wohlhabenden Anwesens, degradiert zum Ackerbauern, der die undisziplinierte Frucht des Bodens erntete, wo er doch eigentlich im Haus, im Schatten hätte sein sollen, aus der Sonne heraus.
    Kurz nachdem Araceli ihren Posten am Panoramafenster verlassen hatte, nahm Maureen Thompson ihn ein und überwachte eine geschlagene Minute lang die Arbeit ihres Mannes. Die Hausherrin war eine zierliche, elegante Frau von achtunddreißig Jahren mit samtweicher Haut und ständig ernster Miene. An diesem Sommermorgen trug sie eine Caprihose à la Audrey Hepburn und ging mit selbstbewussten, entspannten, aber entschlossenen Schritten durchs Haus. Sie leitete den Haushalt genauso wie früher als disziplinierte Abteilungsleiterin ihren Fachbereich, immer die Uhr im Blick und
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