Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren
Autoren: Héctor Tobar
Vom Netzwerk:
1 Scott Torres war ärgerlich, weil der Rasenmäher nicht ansprang. So fest er auch am Starterseil riss, der Motor gab nicht das leiseste Geräusch von sich. Seine Anstrengungen erzeugten lediglich ein kurzes Flattern der Maschine, wie das Husten eines kranken Kindes, gefolgt von einer längeren Stille, in der zwei Libellen surrend ihre Achten über dem ungemähten Gras flogen. Der Rasen war frühreif, ehrgeizig, schon zwanzig Zentimeter hoch, und im Augenblick konnten sich die Halme noch ihren Dschungelträumen hingeben und darauf hoffen, dass sie eines Tages das ganze Haus beschatten könnten. Der Rasen würde wachsen, solange Scott am Seil riss und der Mäher nur hustete. Er packte den Plastikgriff, hielt kurz inne und beugte sich vor, um Atem und Schwung zu holen; dann versuchte er es erneut. Der Mäher röhrte einen Augenblick los, spuckte einen Klumpen Gras aus dem schwarz hervorstehenden Seitenauswurf und blieb wieder stehen. Scott trat einen Schritt zurück und warf der Maschine einen wütenden und zugleich väterlich enttäuschten Blick zu, der auch einem widerborstigen Dienstboten hätte gelten können.
    Araceli, sein mexikanisches Hausmädchen, beobachtete die Szene durchs Küchenfenster, die Hände bedeckt von einer Schaumhaut aus Abwaschwasser. Sie überlegte, ob sie el señor Scott das Geheimnis verraten sollte, wie man den Rasenmäher zum Laufen brachte. Wenn man einen Knopf an der Seite des Motors drehte, ging das Anlassen so leicht, als würde man einen losen Faden aus einem Pullover ziehen. Sie hatte Pepe mehrmals an diesem Knopf herumspielen sehen. Aber nein, beschloss sie, sollte el señor Scott es selbst herausfinden. Scott Torres hatte Pepe und seine kräftigen Gärtnermuskeln entlassen: Der Kampf mit dem Motor war die gerechte Strafe für ihren Arbeitgeber.
    El señor Scott öffnete den kleinen Deckel oben am Mäher, wo das Benzin eingefüllt wurde, nur zur Kontrolle. Ja, Benzin ist drin. Araceli hatte gesehen, wie Pepe den Tank an seinem letzten Arbeitstag befüllt hatte, an jenem Donnerstag vor zwei Wochen. Sie hatte beinahe geweint, weil ihr klar gewesen war, sie würde ihn niemals wiedersehen.
    Pepe hatte den Rasenmäher immer ohne Probleme angeworfen. Wenn er sich nach dem Starterseil gebückt hatte, war ihm der Bizeps aus dem kurzen Ärmel geschlüpft, eine Masse straffer, kupferbrauner Haut, die auf andere Haut- und Muskelpartien unter seinem alten Baumwollhemd hatte schließen lassen. Araceli fand, dass die Flecken auf Pepes Hemden eine künstlerische Note hatten: ein abstrakt expressionistischer Wirbel in Grün, lehmigem Ocker und Schwarz, der von Gras, Erde und Schweiß herrührte. Ein paarmal hatte sie die Leinwand seines Hemdes kühn mit ihren einsamen Fingerspitzen berührt. Wenn Pepe donnerstags eintraf, öffnete Araceli die Wohnzimmervorhänge, besprühte und wischte die blitzsauberen Fensterscheiben, nur um ihn beim Rasenmähen schwitzen zu sehen und sich vorzustellen, wie sie sich in das zimtfarbene Nest seiner Haut schmiegen könnte; und dann lachte sie sich selbst deswegen aus. Ich bin immer noch ein kleines Mädchen und hänge meinen albernen Tagträumen nach. Pepes ungezähmte Männlichkeit durchbrach den Trott ihrer Arbeit und ihres Lebens im Haus; wenn sie ihn eingerahmt im Küchenfenster sah, konnte sie sich plötzlich vorstellen, ein eigenes Leben in der Welt dort draußen zu führen, in einem Zuhause mit eigenem Geschirr, mit einem eigenen Schreibtisch, an dem sie sitzen und nachdenken konnte, in einem Zimmer, das ihr nicht von jemand anderem zur Verfügung gestellt wurde.
    Araceli genoss ihre Einsamkeit, ihren Abstand zur Welt. Sie betrachtete ihre Arbeit für die Familie Torres-Thompson als eine Art selbst auferlegtes Exil von ihrem vorherigen, richtungslosen Leben in Mexico City. Ab und zu hätte sie die Freuden dieser Einsamkeit allerdings mit jemandem teilen, aus ihrer stummen kalifornischen Existenz heraus- und in eine ihrer wechselnden Traumwelten hineinschlüpfen wollen: Sie hätte in Mexiko auf mittlerer Regierungsebene beschäftigt sein können, als eine dieser harten, eindrucksvollen Frauen mit grimmigem Humor und rostrot gefärbter Frisur, eine Frau, die über ein kleines Lehensgut nicht weit entfernt von der Hauptstadt herrschte; oder sie hätte eine erfolgreiche Künstlerin sein können – vielleicht gar eine Kunstkritikerin. Pepe kam in vielen ihrer Phantasien als stiller, geduldiger Vater ihrer Kinder vor, denen sie schicke aztekische Namen wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher