Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren
Autoren: Héctor Tobar
Vom Netzwerk:
Verrichtungen aufgebrochen waren, hatte Araceli nur noch das Haus und seine Geräusche als Gesprächspartner, das Klacken und Brummen des Kühlschrankmotors, das feine Surren der in die Decke eingelassenen Ventilatoren. Es war ein Haus mit Waschbecken aus Edelstahl und exotischem Duft im Bad, mit einer Küche, die Araceli inzwischen als ihr Büro betrachtete, als ihre Kommandozentrale, in der sie jeden Tag mehrere Mahlzeiten zubereitete: Frühstück, Mittagessen, Abendessen, dazu verschiedene Imbisse und »Babyfütterungen«. Eine einzelne Reihe Talavera-Kacheln lief um die pfirsichfarbenen Wände, Margeriten mit blauen Blütenblättern und bronzenen Mittelkreisen darin, und nachdem Araceli die letzte kupferne Kasserolle abgetrocknet und neben die anderen Töpfe an den Haken gehängt hatte, vollzog sie das tägliche Ritual und fuhr mit der Hand über die Keramik. Ihre Fingerspitzen versetzten sie einen flüchtigen Moment lang nach Mexiko City, wo diese Steingutquadrate, verwittert und gesprungen, die meisten Lauben und Eingänge verzierten. Sie erinnerte sich an ihre langen Spaziergänge durch die alten Straßenzüge aus dem siebzehnten, achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, an eine Stadt, die aus uraltem Vulkangestein und Spiegelglas erbaut war, zugleich eine Kolonialstadt und eine Jugendstilstadt und eine Stadt der Moderne. In Aracelis Einsamkeit wanderten ihre Gedanken von Mexiko City zu den anderen Stationen ihrer Lebensreise, einer Reihe von Begegnungen und unglücklichen Umständen, die schließlich und unvermeidlich bis in die Gegenwart führten. Jetzt lebte sie in einer amerikanischen Umgebung, wo alles neu war, in einer Landschaft, in der die Zeit keine Spuren hinterlassen hatte und wo jedes Haus nach einer ungeschriebenen Regel der Gemeinschaft cremeweiß gestrichen war, gesichtslose Architekturmodelle, von menschlicher Hand in eine leere Savanne geworfen. Um das Haus der Torres-Thompsons gab es unsichtbare Räume, in denen Araceli die gelben Büschel aufgegebener Viehweiden entdeckte: die sprießenden Halme zwischen den Mülltonnen und um das mächtige Klimaaggregat herum sowie in den eingeschnittenen Rechtecken im Gehwegpflaster, wo junge, mannshohe Bäume standen.
    Wenn Araceli vorm Aussichtsfenster im Wohnzimmer stand und auf die Meeresfläche in zwei oder drei Kilometer Entfernung schaute, sah sie sich selbst auf der unberührten Bergflanke voller wilder Gräser. Mehrmals am Tag ging sie aus der Küche ins Wohnzimmer, um den Horizont zu betrachten, eine verschwommene Linie, wo das Graublau der See in den wolkenlosen Himmel sickerte. Wenig später holten sie die Schreie der beiden Torres-Thompson-Jungen und das Weinen der kleinen Samantha zurück ins Hier und Jetzt.
    Als noch drei Mexikaner im Haus gearbeitet hatten, waren Aracelis Arbeitstage von Plaudereien und lustigem Tratsch erfüllt gewesen. Sie hatten sich über el señor Scott und seinen sehr schlechten pocho -Akzent lustig gemacht, wenn er versuchte, Spanisch zu sprechen, sie hatten sich vorzustellen versucht, wie so ein unbeholfener und ungepflegter Mann wohl zu einer so ehrgeizigen nordamerikanischen Ehefrau gekommen war. Guadalupe, das Kindermädchen, betüdelte das Baby Samantha und spielte mit Keenan und dem Älteren der Jungen, Brandon. Guadalupe hatte ihnen Ausdrücke wie buenas tardes und muchas gracias beigebracht. Araceli, Haushälterin und Köchin, war für Badezimmer und Küchen zuständig, für Staubsauger und Wischlappen, für Wäsche und Wohnzimmer. Und Pepe richtete mit seinen starken Händen die Blätter der Taropflanze auf, ließ die cremefarbenen Knospen der Calla erblühen und hielt mit seinen Muskeln den Rasen respektabel kurz. Die drei erfüllten das Haus mit ihren schlagfertigen spanischen Wortwechseln, Guadalupe neckte Araceli mit Bemerkungen über Pepes gutes Aussehen, und Araceli antwortete mit Zweideutigkeiten, die an Pepe einfach abzuperlen schienen.
    »Deine Maschine ist so stark, die kann alles mähen!«
    »Es que tiene mucho Pferdestärke. «
    »Ja, ich sehe schon, wie viel Pferd in deiner Stärke steckt.«
    Pepe war ein Zauberer, ein da Vinci der Gärtnerei, doppelt so viel wert wie das, was sie ihm bezahlten. Wie lange würden die Helikonien noch ihre orangeroten Schnäbel zum Himmel öffnen, wenn Pepes dicke, kluge Finger sie nicht mehr zum Leben erweckten? Die finanzielle Lage musste wirklich bedrohlich sein. Warum sonst würde el señor Scott in dieser gleißenden Sonne herumlaufen und sich seine helle
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher