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Verbrecher und Versager.

Verbrecher und Versager.

Titel: Verbrecher und Versager.
Autoren: Felicitas Hoppe
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Marathon

    G EORG M EISTER
(1653-1713)

    U nd das hier ist übrigens Georg Meister, Schiffsgärtner Gottes aus Sonderhausen!
    Kaum zieht der Schaffner das Bild aus der Tasche, wird es plötzlich still im Abteil, als hielte er einen Steckbrief hoch. Mein Blick bleibt an der Perücke hängen, nie gesehen, sagen die Männer. Wir sind alle nur wenig herumgekommen und denken uns Gärtner nicht unter Perücken, schon gar nicht auf Schiffen. Wir denken an Schürzen und leichte Hüte, an Heckenscheren und Rasenspachtel, an Sichel und Hippe. Alles in allem gebückte Arbeit, wobei die Perücke verrutschen würde. Wir denken an Friedhofsgärtner mit Frauen, die Kränze flechten und Kinder haben, die sie in Vorgartenerde nach Würmern graben lassen, damit sie nicht plötzlich aufstehen und einfach so auf den Meeren verschwinden, wo man sie später zu Schiffsgärtnern macht.
    Draußen die thüringische Landschaft, neben mir sportlich atmende Männer unterwegs zum welttiefsten Marathon, in die leeren Gruben von Sonderhausen, wo Georg Meister geboren ist. Ein stillgelegter Kalischacht, siebenhundert Meter unter der Erde, Gefälle bis an die zwölf, Steigungen bis zu fünfzehn Prozent, beim Laufen immer ein Helm auf dem Kopf. Hitze und höchste Luftfeuchtigkeit. Ob ich weiß, wie viel man trinken muss, um dort unten wirklich das Rennen zu machen? Aber ich höre nicht hin, ich trage keinen Helm in der Tasche, die Marathonhelden sind mir egal. Vermutlich kommen sie selten an Frischluft, eine Seereise würde nicht schaden. Stattdessen starren sie aus dem Fenster, wo die Zeit vorbeiläuft, die wir gemeinsam totschlagen müssen, zwischen Mansfeld und Sonderhausen.
    Aber ich verkaufe meine Zeit nicht für dumm. Die Erschaffung der Welt ist noch nicht lange her, damals, als Gott noch Perücken trug und noch einen eigenen Garten hatte, in dem er ein fröhlicher Aufseher war und Georg Meister sein fröhlicher Gärtner, der versuchte, die Erde instand zu setzen nach dem letzten dreißigjährigen Krieg. Adam und Eva in einer Person, alles in allem gebückte Arbeit, Sonderhausen ist schnell frisch bepflanzt. Der Rest ist Barock, aufbauschen, beschneiden, wässern und stutzen, Sinnsprüche in die Hecken schneiden. Und hinter der Hecke die Frau, die von jeher auf Feierabende setzt, auf gewonnene Rennen und Schrebergärten. Kein Wunder, dass Meister die Flucht ergreift, damals hielt man die Welt noch für groß, und Gott hatte überall seine Gärten.
    Von Sonderhausen bis Querfurt zu Fuß, wo Meister auf einen Rittmeister trifft, der Hund heißt und ihm ein Pferd verspricht, für den Fall, dass Meister sein Handwerk eintauscht. Auf Gärten, ruft Hund, liegt kein Segen, kaum angelegt, kommt schon wieder ein Krieg, dann wird nicht bewässert, nur noch gelöscht. Hund reist in Seelen und sucht Männer, die unter der Erde laufen, bis ihr Atem zu rasseln beginnt.
    Meister schlägt aus. Ein Gärtner, der lesen und schreiben kann, gräbt sich nicht in den erstbesten Boden, der glaubt nicht an das, was in Büchern steht, denn geschrieben steht viel, und vom Hörensagen kennt jeder die Welt, nur mit eigenen Augen hat sie niemand gesehen. In Sonderhausen spricht man über Paris, in Paris von London, und in London über das Neuste aus Amsterdam. Nur spricht man in Amsterdam nicht von Querfurt und hört nur wenig aus Sonderhausen. Dort spricht man noch immer von Hottentotten, wenn man die deutsche Unordnung meint und immer dieselben Fragen stellt, auf die niemand hier eine Antwort weiß: Wie heißt der größte Garten der Welt? Welche Sprache sprechen die Hottentotten? Wie kommt man von Querfurt nach Amsterdam? Wie unterscheidet man Japan von China? Und wer hat die Insel Deshima erfunden?

    Damit ist Rittmeister Hund aus dem Spiel. Meister winkt Abschied, reist weiter nach Holland, in welcher Gesellschaft ist nicht bekannt, vermutlich im Schatten von größeren Männern, genau wie die Großen mit Dreck am Stecken, aber der löst sich unterwegs von allein. Angekommen in Amsterdam stellt man sich auf die Mitte des Platzes, bestaunt die Gebäude, richtet den Blick auf die Rathausturmuhr und wartet auf eine Zufallsbekanntschaft. Denn irgendjemand kommt immer vorbei, weshalb es für Gärtner gefährlich ist, auf leeren Plätzen herumzustehen, wo es nichts zu bepflanzen gibt. Denn es gibt sie noch, diese flüchtigen Männer, die in langen Mänteln auf Marktplätzen stehen und mit Vorgartenerde und Träumen handeln, bis der letzte Gärtner sein Handwerk vertauscht.
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