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Verbrecher und Versager.

Verbrecher und Versager.

Titel: Verbrecher und Versager.
Autoren: Felicitas Hoppe
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Schluss kein Herrenjahr wird, ein Leben ohne Rettung und Rückkehr, weil er weiß, dass ihn Zuhause niemand erwartet.
    Denn wer will schon auf einen Verbrecher warten! Warten ist mühsam und meistens erfolglos, und so kommt ein kleines Leben zum Schluss, nichts als ein schlechtes Theaterstück. Am Ende schließt man erschöpft die Augen und wünscht, dass Gott ein Einsehen hat, dann käme man insgesamt schneller davon. Aber Gott ist ein Mann feiner Unterschiede, für jeden seinen eigenen Tod. Und so lässt er den Kammerdiener am Leben und macht ihn zu dem, was er immer schon war - er wird in die Sklaverei verkauft!
    Das soll die ganze Geschichte sein? Zehn Jahre Sklave in Abu Telfan? Zehn Jahre Fesseln und zehn Jahre Stille! Der geht so lange von Hand zu Hand, von Stamm zu Stamm, bis er sich selbst nicht mehr wieder erkennt, nicht einmal die Mutter wird ihn erkennen. Denn die Fee hat ganze Arbeit geleistet, ein Jäger, der aussieht wie seine Beute, weshalb er im Preis nur noch sinken kann, von Tag zu Tag, von Station zu Station, bis er am Boden der Salzwüste liegt.

    Doch bevor ich womöglich zu weinen anfange, geht über dem Rollfeld in Amsterdam, riesig, fast lachhaft, die Sonne auf, und zwischen den Kisten erwacht der Schläfer. Vielleicht hat ihn meine Stimme geweckt, weil ich zunehmend lauter lese, weil ich die Hoffnung nicht aufgeben will, denn ich weine und warte besser als andere und weiß, den Gebeten des Vaters zum Trotz, dass Hagebucher am Leben ist.
    Und was das Mondgebirge betrifft, wo immer es liegt und was immer es ist, wer immer dort lebt, und wer immer das Unglück erfunden hat, man wird mir darüber nichts vormachen können: «Zwanzig bis dreißig in einen kahlen, glühenden Felswinkel geklebte Lehmhütten, von Zeit zu Zeit Totengeheul um einen verlorenen Krieger oder um einen an Fieber oder an Altersschwäche Gestorbenen, von Zeit zu Zeit Siegesgeschrei um einen gelungenen Streifzug oder eine gute Jagd, von Zeit zu Zeit dunkle Heuschreckenschwärme, welche über das gelbe Tal hinziehen.»
    Ich schiebe das alles entschlossen zurück, die Jagd und die Heuschreckenschwärme, zurück in das Nichts einer Fantasie, von der ich die Wirklichkeit subtrahiere, bis am Ende die Rettung übrig bleibt. Denn irgendjemand kommt immer vorbei, ein anderer Abenteurer und Händler, der uns auf ein Kamel setzen wird, das uns Fuß vor Fuß wieder nach Norden bringt. Unwichtig, seinen Namen zu nennen, irgendwer wird uns losgekauft haben, für Apfel und Ei, denn mehr sind wir beide nicht wert gewesen, Hagebucher und ich, zwei Hand voll Sand zwischen gelben Fingern.
    Also «zählt an den Fingern die Jahre ab und gebt mir ein Glas Wasser aus unserem Brunnen»!
    Nichts leichter als das ! Ich werde dem Mann zu trinken geben, das erstbeste Glas, noch bevor die Geschichte zu Ende geht, die genau genommen gerade erst anfängt, denn, hier oder da, ich weiß, was es heißt, in der Wüste zu dursten und sich rund um die Uhr auf Spießen zu drehn, um am Ende doch noch zurückzukehren, ich sehe genau, was er hinter sich hat: schon als Kind Gast auf Erden, tags Gast in Häusern, und jede Nacht ein anderes Bett, immer die Hand auf der falschen Klinke, den Fuß auf der Schwelle.
    Doch viel schlimmer als das, was längst hinter uns liegt, ist das, was noch kommt, die Rückkehr und das Gesicht eines Vaters. Man muss wissen, wer weggeht und trotzdem zurückkommt, auch wenn keine Schürze am Hoftor mehr hängt. Und man muss das Entsetzen zu lesen verstehen, das Entsetzen auf dem Gesicht der ganzen Verwandtschaft, den Blick in den Spiegel, die hässliche Narbe, die auf einmal wieder gut sichtbar ist im Gesicht eines Sohnes, eines Bruders und Neffen, der wider Erwarten heimgekehrt ist, nach einer endlosen traumlosen Reise, den Kopf in den Wolken, das Hirn hinterm Mond.
    Denn der Schrecken liegt auf der Schwelle des Hauses, zwischen zwei feindlichen Meeren, die nichts als ein flüchtiger Spatenstich trennt, auf der Landenge zwischen Vater und Sohn und in der Schürzentasche der Mutter, die plötzlich haltlos zu weinen beginnt. Nur will die Geschichte gar keiner hören, die Heimat hat sich die Ohren verstopft und streut sich den ganzen Tag Sand in die Augen zwischen Stuttgart und Braunschweig und Dschebel al Komri. Nicht die Fremde ist fremd, sondern wir sind uns fremd, weil uns niemand hört, wenn wir sprechen wollen.

    Du aber! Leser der kurzen Nacht! Du sollst ihn ehrlich willkommen heißen, mein Mondgesicht, mein Kamel und mein Schaf, du
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