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Verbrecher und Versager.

Verbrecher und Versager.

Titel: Verbrecher und Versager.
Autoren: Felicitas Hoppe
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Rechnung, und vergieß keine Träne, es kommt alles in Ordnung.
    Der nächste Brief kommt bereits aus Neapel, man spürt die Hitze zwischen den Zeilen, die langsam steigende Temperatur, eine seltsame Mischung aus Tinte und Schweiß, eine kleine Verzweiflung auf dem Grund des Versprechens, drei Schritte näher an Afrika. Aber der Aufstieg ist unaufhaltsam, schreibt der fliehende Sohn an die lesende Mutter. Gestern noch Kammerdiener in Rom, bei einer belgischen Eminenz, und heute schon Mitglied der französischen Kommission zur Überprüfung der Erwägung der Möglichkeit der Durchstechung der Landenge von Suez.

    Ginge es nach dem Steuerinspektor, würde die heiße Enge von Suez auf immer zwei feindliche Meere trennen, die nichts miteinander zu schaffen haben und die niemals etwas verbinden wird. Verlässliche Wüste zwischen Vater und Sohn. Aber Gott hört nicht auf seinen Steuerberater, dem es viel lieber gewesen wäre, man hätte die Tore noch fester verschlossen und niemals vom Suezkanal gesprochen, der den Heimweg nutzloser Söhne verkürzt, anstatt sie, wie früher, ums Kap zu schicken, wo sie sich lautlos für immer verlieren und endlich aufhören, Briefe zu schreiben, die morgens die Mütter zum Weinen bringen.
    Denn Gott liebt die Steuereintreiber nicht wirklich, er zieht Wissenschaftler, Händler und Dichter vor, lässt den Fregatten aus England den Vortritt, den Diplomaten aus Frankreich, den Österreichern und Italienern und Leonhard Hagebucher aus Deutschland, Genie der niederen Mathematik, von dem ich nur weiß, dass er Sprachen spricht und dass er den Kopf in den Wolken hat und bereit ist, wie ich, etwas Großes zu wagen, Posten der Posten: Sekretär des Sekretärs des Monsieur Linant-Bey, Oberingenieur seiner Hoheit des Vizekönigs von Ägypten.
    Längst ist die Kommission bei der Arbeit, Berechnung der Wasserstandsunterschiede, ein einziges Rechnen und Feilschen, ein Streiten und Kämpfen, und alles das nur, um herauszufinden, ob das Rote Meer dreißig Fuß höher liegt als das vertraute Mittelmeer und ob, wenn der erste Spatenstich trifft, nicht womöglich ganz England überflutet! Das Ergebnis: zwei Füße Übergewicht und grünes Licht für das Abenteuer, für den Bau des großen Suezkanals, der für immer zwei feindliche Meere verbindet!
    Vom Aufwand der Sache besser zu schweigen, das ganze Geld und die vielen Spaten! Und die Unruhe, die in die Welt kommen wird, als hätten wir nicht schon genug zu tun mit der eigenen Unruhe hinter dem Haus. Wozu dieser endlose, mühsame Krieg, wozu das Gefecht zwischen England und Frankreich und wohin mit der Gier der Italiener und dem wachsamen Ehrgeiz der Amerikaner, zwei Meere in ein Verhältnis zu setzen, von dem man nicht weiß, wie es ausgehen wird.

    Sind es wirklich nur zwei Fuß Übergewicht, anderthalb Fuß nach Pariser Berechnung, mit denen der Indische Ozean auf das geliebte Mittelmeer drückt? Soll das der ganze Grund für das Unglück sein, das damals begann und bis heute nicht aufhört und vermutlich auch Schuld daran ist, dass ich hier sitze, schlaflos in der Mitte der Nacht, auf dem Flughafen von Amsterdam, eben dem Putsch von der Schippe gesprungen? Mit nichts als mit diesem Buch in der Tasche, von dem ich nicht einmal die Hälfte begreife. Aber was das Mondgebirge betrifft, so bin ich mir plötzlich nicht mehr ganz sicher, ob es tatsächlich erfunden ist oder ob ich es nicht doch auf der Karte finde, irgendwo unweit des Roten Meeres, dort, wo auch Abu Telfan liegt.
    Wäre der Schlaf der Menschen nicht heilig, ich würde sofort diesen Schläfer wecken. Ich würde ihn bitten, den Rucksack zu öffnen, denn bestimmt hat der Mann eine Karte dabei, die mir Klarheit verschafft über die Lage der Welt und über den wirklichen Stand der Dinge. Und was ist übrigens in diesen Kisten? Messketten, Stangen und Lineale? Quadranten, Wasseruhren, Sextanten? Mondgestein oder Menschenverstand? Kompass und Sand? Rettungsringe für jeden Finger? Wie sehr ich diese Ausflüge liebe und beim Packen der Kiste den festen Glauben, dass trotzdem alles beim Alten bleibt!
    Hier eine Hochzeit, da Revolution, am Ende legt alles Hand an sich selbst, wie das in Deutschland so üblich ist. Obenauf das Soll für die Ewigkeit und ein nutzlos gewordenes Empfehlungsschreiben des Monsieur Linant-Bey, in dem vermutlich zu lesen steht, dass der Deutsche Leonhard Hagebucher ganze Arbeit geleistet hat. Gedichtet, geschrieben, vermessen, berechnet. Nur ist die Rechnung nicht aufgegangen,
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