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Verbrecher und Versager.

Verbrecher und Versager.

Titel: Verbrecher und Versager.
Autoren: Felicitas Hoppe
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denn so schön und so groß die Aufgabe ist, so schnell ist sie auch schon wieder vorbei, der Kanal ist längst beschlossene Sache. Die Kommission löst sich auf, der Sekretär des Sekretärs packt die Koffer, die Franzosen packen die Messlatten ein und machen sich auf den Weg nach Haus. Und in Paris sitzt Monsieur Paulin Talabot, Präsident der Gesellschaft vom Suezkanal, und hat sich die Finger nicht schmutzig gemacht.
    Nur Hagebucher ist sitzen geblieben, zwischen Suez und Pelusium, er kann sich von Mehemed Ali nicht trennen und streut sich nach wie vor Sand in die Augen. Und schreibt weiter endlos lange Artikel: Die Lage der Welt, der Verlauf des Kanals, und will eine deutsche Kleinstadt verblüffen. Nur wirft sein langes Reden nichts ab, keinen Ruhm, keine Ehre, genau wie meine sinnlose Reise und der lachhafte Vorrat an sandigem Kleingeld, den sich der Flüchtling angelegt hat.
    Vielleicht hätte es gestern noch gereicht, für die Rückfahrt des Lesers von Stuttgart nach Braunschweig, für den letzten Blick auf den Hügelzug, den Besuch einer Stadt, deren Name mir nicht auf die Lippen kommt. Aber heute stehen die Kurse schon anders, und was morgen betrifft, etwas hält mich zurück, vielleicht die Gewissheit, dass niemand mehr wartet, nicht auf mich, nicht auf Leonhard, nicht auf den Schläfer, dessen Narbe im Traum plötzlich heftig errötet, als würde er doch meine Stimme vernehmen. Denn vermutlich bin ich die Einzige, die ihm jemals vorlesen wollte, Hand auf den Augen und Brief in der Schürze, damit die Geschichte ein Ende nimmt und damit auch ich endlich aufwachen kann.
    Aber er hält die Augen geschlossen, denn wie ich so fürchtet auch er die Begegnung, ein einsames wanderndes Kind in der Wüste, das zwei Sätze auf einen Zettel schmiert: «Ich gehe jetzt los!» und «Ich suche das Glück!», um dann einfach im Sandkasten sitzen zu bleiben, wie damals Leonhard Hagebucher, mitten in Kairo, gescheiterter Spezialist des Kanals, der mit den Fingern Entwürfe in den Wüstensand zieht.
    Bis endlich Signor Luca Mollo vorbeikommt, denn auch in Kairo gibt sich das Glück gern italienisch! Semibecco, Elfenbeinkönig vom Weißen Nil, Schrecken der Wüste!, glücklicher Teufel, gesunder Tod, etwas Besseres finden wir überall, wie uns das deutsche Märchen lehrt. Dazu muss man nur Esel sein oder Hund, zur Not eine Katze, ein Hahn oder Rabe, immer voran und der Nase nach, Märchenerzähler und Geograph, der sich die Karten selber erfindet, genau wie das Schicksal verlorener Helden.
    Flucht nach Ägypten! Und so kommt es, dass Leonhard sich erhebt, das gerettete Kind, und sich den Sand aus den Kleidern schüttelt. Vielleicht glaubt er, jetzt, so weit weg von Zuhause, dass die dreizehnte Fee ihn vergessen hat und dass er doch noch sein Glück machen kann. Denn Semibecco, der große Verführer, verspricht ihm das Blaue vom Himmel herunter, Sonne, Sterne, das Mondgebirge, einen Hügelzug für die Eingeweihten, der ganz besondere Schätze birgt.
    Und wie dieser Mann mit so leichter Hand alles vom Soll ins Haben schiebt, wie er Leonhard alles beibringen wird: wie man wandert und jagt und im Freien schläft, wie man ein echter Räuber wird, und wie man die Heimat für immer vergisst, indem man erst anlegt, dann zielt und dann schießt, ohne jemals getroffen zu werden! Und dass er, im Fall von Gefolgschaft und Treue, bereit ist, alles mit ihm zu teilen, jeden Zahn, jede Perle, sogar seinen Tod!

    Und Leonhard tritt in seine Dienste. Vielleicht ist er sein Kammerdiener geworden und trug ihm die Kisten nach durch die Wüste und hat nachts am Feuer Gewehre poliert, während Mollo die Elfenbeinzähne sortierte und immer neue Geschichten erfand. Denn was denkt sich nicht aus, wer zuhause bleibt und niemals wirklich in Afrika war! Übereifer der ganzen Erfindung, diese Aufschneiderei eines deutschen Dichters! In der Mitte der falschen Geographie eine Bande lächerlicher Gestalten, die Räuber sein wollen und gar keine sind, größter Schrecken der schrecklichen Gegend zwischen Bahr el-Abiad und dem Bahr el-Asrek!
    Hagebucher und Semibecco! Zwei kleine Verbrecher aus deutscher Feder, die ungerührt in der Wüste sitzen und Fetische unter die Leute bringen, Hampelmänner, Kuhglocken und Glasperlen, die Rasierspiegel gegen Elfenbein tauschen, kleine Spiegel, die beim ersten Blick schon erblinden, beim Anblick der Narbe zwischen Stirn und Kinn, die hin und wieder leise errötet, ein kleiner und zäher Rest von Scham.
    Was aber treibt
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