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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren
Autoren: Héctor Tobar
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hervorbrachten.
    Wenige Augenblicke später ging Scott aus der Küche, schaute durch die gläsernen Schiebetüren, die nach hinten in den Garten führten, und kam sich wie ein Idiot vor. Den Garten hatte er ganz vergessen, den fälschlich so genannten »Tropengarten«, der eigentlich ein »Subtropengarten« war, wie die freundlichen Mitarbeiter der Gärtnerei es formuliert hatten, als das Ding damals gepflanzt wurde. Zum ersten Mal sah Scott die begrünten Höhlen und Schatten mit dem Auge eines Arbeiters; dank seiner Bemühungen im Vorgarten hatten sich bereits ein oder zwei Blasen an seinen Händen gebildet. Er erinnerte sich, wie Pepe mit einer Machete in diesen Halburwald gestapft war, er hörte das rohe Geräusch, wenn Pepes Klinge die fleischigen Pflanzenteile durchtrennte, er erinnerte sich an den Anblick, wie Pepe mit den alten Palmwedeln oder verblühten Blumen wieder herausgekommen war. Scott sah sich nicht in der Lage, auch den Dschungel heute noch zu betreten. Er hatte den Eindruck, man bräuchte ein ganzes mexikanisches Dorf, um das Ding am Leben zu halten, einen Trupp Männer mit Strohhüten, der barfuß durch den künstlichen Bach watete, der mitten hindurchfloss. Pepe hatte das alles allein geschafft. Der Mann war offensichtlich ein ganzes Dorf für sich allein gewesen. Scott war kein Dorf und beschloss, den Tropengarten für den Augenblick zu vergessen. Die Anlage befand sich schließlich hinter dem Haus, wer würde da schon etwas mitbekommen?

2 In der Familie Torres-Thompson war jeder Kindergeburtstag mit einer aufwendig inszenierten Feier zu einem bestimmten Thema verbunden. La señora Maureen ließ spezielle Servietten und Pappteller anfertigen, und manchmal engagierte sie Schauspieler, die dem Thema entsprechend verschiedene extravagante Rollen übernehmen sollten. Aus ihrem eigenen Künstlerbedarf bastelte sie HAPPY-BIRTHDAY -Banner; sie suchte in Ramschläden nach alten Schals und Anzügen, um Kostüme daraus zu fertigen, und bestellte Perücken und Requisiten übers Internet. Maureen hängte Girlanden über die Türen, instruierte Guadalupe, große Luftballonblumen zu binden, während Araceli in der Küche Kekse in Form von Hexen oder Dinosauriern buk. Keenan, der jüngere Sohn, wurde in zwei Wochen acht, und im Augenblick gehörte zu den Vorbereitungen, dass Araceli Papier und Kleister für ein Pappmascheeprojekt anrührte. Dagegen hatte sie nichts einzuwenden, sie fand es gut, dass der Geburtstag eine Familienveranstaltung war, die von den Frauen in der Küche organisiert und von einer großen Menschengruppe möglichst unter freiem Himmel begangen wurde. Genauso war es an den Wochenenden in den Parks in ihrer Heimatstadt gewesen.
    Keenans Geburtstag würde wie alle anderen im Garten der Familie Torres-Thompson gefeiert werden, in der unkomplizierten und angemessen kindlichen Dekoration der señora , zumeist in genau den Primärfarben, die auch die mexikanische Volkskunst prägten. Hätte man diese Frau nach Oaxaca verpflanzt, so glaubte Araceli, dann hätte sie dort sehr schöne Töpferarbeiten gefertigt oder Scherenschnittgirlanden – papel picado –, oder sie wäre die hervorragende Leiterin eines Wandertheaters in den Vororten von El Distrito Federal geworden.
    Araceli brachte die Schüssel mit dem fertigen Kleister zu la señora Maureen ins Spielzimmer. Sie fand ihre jefa auf dem Boden kniend vor einem Bogen gelbem Bastelpapier, einen roten Buntstift in der Hand, den Malkittel über der braunen Yogahose.
    »Señora, aquí está su Pappmaschee « , sagte Araceli.
    »Danke.« Nachdem ein paar Sekunden verstrichen, ohne dass ihre Bedienstete wegging, schaute Maureen auf und bemerkte, dass Araceli ihre Arbeit mit der für sie typischen neutralen Miene begutachtete: ein halbes Starren, zugleich passiv und aggressiv. Maureen hatte diesen undurchschaubaren Blick schon zu oft auf Aracelis breiten, flachen Gesichtszügen gesehen, um sich davon noch aus der Ruhe bringen zu lassen; stattdessen zuckte sie kurz mit den Achseln und verdrehte in ironischer Quasiverzweiflung die Augen, als wollte sie sagen: Tja, da knie ich schon wieder auf dem Fußboden und kritzele wie ein Vorschüler an irgendeinem Bastelprojekt herum. Araceli brach ihren Bann, indem sie eine Augenbraue hochzog und verständnisvoll nickte: Auf diese Weise kommunizierten die beiden Frauen mehrmals am Tag, eine wortlose gegenseitige Anerkennung der gemeinsamen Verantwortung für einen Haushalt, der von den planlosen Unternehmungen
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