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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren
Autoren: Héctor Tobar
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Maureen nun Araceli beim Fegen zusah, fühlte sie sich zumindest nicht mehr ganz so allein angesichts ihrer enormen Verantwortung für Heim und Familie. Du bezahlst jemanden dafür, dass er in deinem Haus arbeitet, und wenn es funktioniert, wird diese Person dein verlängerter Arm, dein Auge, dein Muskel, manchmal sogar dein verlängertes Hirn. Das Gefühl von Schutz und Stärke blieb ihr, als sie Samantha dabei beobachtete, wie sie im Spielzimmer einen Schritt voranmachte und dem fernen, beruhigenden Grummeln des Staubsaugers lauschte: Araceli tilgte die letzten Reste von Scotts Fußspuren auf dem Teppichboden im Flur.
    Als Scott ins Kinderzimmer kam, saß sein Nachwuchs mit gebeugtem Nacken und starrem Blick vor den winzigen Bildschirmen. Die Finger seiner Söhne entlockten den Knöpfen ein gedämpftes Klicken; aus den Apparaten waren sausende Geräusche und blecherne Akkordeonmusik zu hören. Einen Augenblick betrachtete er die beiden: zwei Jungen, die in eine Reihe von Aufgaben hineingelockt wurden, die Programmierer in einem Hochhaus in Kyoto entworfen hatten. Sein jüngerer Sohn Keenan, der wie üblich seine schwarze Verrücktenperücke aus ungekämmten und schlafverwuschelten Haaren trug, riss die Augen in manischer Besessenheit auf; Brandon, der Ältere mit den langen rotbraunen Rockstarlocken, saß zusammengesunken und mit halb gelangweiltem Stirnrunzeln vor seinem Schirm, als warte er darauf, dass ihn jemand aus seiner beginnenden Spielsucht erretten würde – und genau das hatte Scott nun vor. Maureen hatte ihm aufgetragen, sie aus dem Haus zu scheuchen und »ein bisschen laufen zu lassen«, denn ohne Guadalupe, die sie nach draußen brachte, weg von ihren vermaledeiten Pixelkisten, hatten sie in der ersten Sommerwoche noch nicht viel Farbe bekommen. »Wieso spielst du nicht ein bisschen Football mit ihnen?«, hatte Maureen gesagt, und natürlich fühlte Scott sich von derartigen Sätzen provoziert, denn wie alle guten Eltern lebte er für seine Kinder. Wenn er ein Buch aus ihrem Regal zog, um es vorzulesen, oder wenn er ihnen beim Schwimmen im Pool hinterm Haus zusah, dann kam ihm das Geld, das sie für diesen Palast ausgegeben hatten, weniger verschwendet vor. Das war überhaupt der Anlass für den Hauskauf hier auf dem Hügel gewesen: Sie hatten den Jungs und jetzt auch Samantha Platz zum Rennen und Planschen bieten wollen, einen großen Garten und ein Zimmer voller Bücher und Spielzeug, das eindeutig pädagogisch wertvoll war, so wie beispielsweise das selten benutzte Junge-Forscher-Fernrohr oder das kleine Planetarium, das Sternbilder an Wände und Decke warf.
    »Wieso bellt dein Gameboy?«, fragte Scott seinen älteren Sohn.
    »Ich führe Max Gassi«, sagte Brandon.
    Nach einigen Sekunden der Verblüffung fiel Scott ein, dass sein Erstgeborener virtuelle Welpen großzog. Er führte seine Hunde aus, shampoonierte sie, trainierte sie, und die künstlichen Tiere wuchsen auf dem Schirm in etwa einer Stunde heran, pinkelten auf den Teppich und taten auch sonst alle Dinge, die Hunde eben so tun. Wir haben keinen richtigen Hund, weil meine Frau den Dreck nicht erträgt.
    »Okay, Jungs, genug gespielt. Abschalten … bitte.«
    Brandon klappte sein Gerät rasch zu, aber Keenan klickte weiter. »Lass mich nur noch kurz speichern«, sagte er.
    »Na los, aber flott.« Scott war Programmierer und spielte selbst gern: Er wusste, dass sein Sohn nicht zu seinem letzten Spielstand würde zurückkehren können, wenn er einfach abschaltete. Scott ging zu ihm, um zu sehen, welche Spielwelt er denn betreten hatte, und erkannte die vertraute Gestalt des Klempners in Latzhose. »Ah, Mr Miyamoto«, sagte er. Das Alter Ego des japanischen Spielentwicklers sprang von einer schwebenden Plattform zur nächsten, fiel zu Boden, wurde durch einen Stromschlag getötet und wundersam wieder zum Leben erweckt. In dieser handtellergroßen Version hatte das Spiel noch viel von seiner alten, simplen Automatenästhetik, und für Scott, den Programmierer, waren die Gleichungen und Algorithmen hinter der zweidimensionalen Grafik so greifbar, dass er sofort ein nostalgisches Ziehen empfand: die Bewegung entlang der x - und y -Achse, die logischen Reihen, geschrieben in C++: insert, rotate, position .
    »Du bist ganz schön gut«, sagte er zu seinem Sohn. »Aber ich finde, du solltest jetzt wirklich Schluss machen.«
    »Okay«, sagte Keenan und spielte weiter.
    Scott hob den Kopf und blickte auf die Bücher und Spielzeuge der Realwelt um
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