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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren
Autoren: Héctor Tobar
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Cuitláhuac und Xóchitl geben würden. In diesen ausgedehnten Tagträumen war Pepe Landschaftsarchitekt oder Bildhauer, und Araceli selbst war zehn Kilo dünner, sie hätte ungefähr dasselbe Gewicht, das sie vor der Einreise in die USA gehabt hatte; die Jahre in Kalifornien hatten ihrer Taille nicht gutgetan.
    Und nun hatten ihre Träumereien von Pepe ein Ende. Sie waren sowieso absurd gewesen, aber es waren zumindest ihre Träume, und jetzt, wo sie ihr plötzlich fehlten, kam Araceli sich vor, als sei sie bestohlen worden. Statt Pepe konnte sie jetzt nur noch el señor Scott beobachten, der mit dem Rasenmäher und dem Starterseil kämpfte. Endlich entdeckte Scott den kleinen Knopf. Er stellte ihn richtig ein und zog wieder am Seil. Seine Arme waren dünn und hellbraun wie Haferflocken; er war, was man hierzulande einen »Halbmexikaner« nannte, und nach zwanzig Minuten Junisonne leuchteten seine Unterarme und sein Gesicht so rot wie McIntosh-Äpfel. Einmal, zweimal, ein drittes Mal zog el señor Scott am Seil und drehte den kleinen Knopf noch ein bisschen weiter, bis der Motor schließlich ansprang, stotterte und aufdröhnte. Bald war die Luft grün von fliegenden Halmen, und Araceli sah, wie sich die Mundwinkel ihres Arbeitgebers in stiller Befriedigung anhoben. Dann erstarb der Motor, weil das Messer in zu viel Gras stecken geblieben war.
    Keiner ihrer beiden Brötchengeber hatte Araceli offiziell davon in Kenntnis gesetzt, dass sie fortan als letzte Mexikanerin in diesem Haushalt beschäftigt sein würde. Araceli war für zwei Menschen tätig, deren Nachnamen per Bindestrich eine eigenartige bilinguale Verknüpfung eingegangen waren: Torres-Thompson. Seltsamerweise bezeichnete sich la señora Maureen nie als »Mrs Torres«, obwohl sie und el señor Scott tatsächlich verheiratet waren, wie Araceli gleich am ersten Arbeitstag an den Hochzeitsfotos im Wohnzimmer und den identischen Goldringen an ihren Fingern erkannt hatte. Araceli neigte nicht dazu, Fragen zu stellen oder sich in Plaudereien oder Small Talk hineinziehen zu lassen. In ihren Dialogen mit den jefes klang sie oft streng und gab kaum mehr als ein einsilbiges »Ja«, »Sí« oder »Nein« von sich. Sie wohnte zwölf von vierzehn Tagen im Haus der Torres-Thompsons, tappte aber trotzdem oft im Dunkeln, wenn ein neues Kapitel der Familiensaga aufgeschlagen wurde: zum Beispiel Maureens Schwangerschaft mit dem dritten Kind der beiden, von der Araceli nur erfahren hatte, weil ihre jefa sich eines Nachmittags wiederholt übergeben hatte.
    » Señora , Sie sind krank. Ich glaube, meine enchiladas verdes sind zu würzig für Sie. ¿Que no? «
    »Nein, Araceli. Es liegt nicht an der grünen Sauce. Ich bekomme ein Kind. Wussten Sie das nicht?«
    Angeblich waren die finanziellen Verhältnisse der Grund dafür, dass Pepe und Guadalupe hatten gehen müssen. Araceli hatte an einem Mittwochvormittag vor zwei Wochen davon erfahren, nach einer hitzigen Auseinandersetzung zwischen la señora Maureen und Guadalupe, die sie durch die Glasschiebetüren des Wohnzimmers beobachtet hatte. Nach dem Ende des Gesprächs war Guadalupe ins Wohnzimmer gekommen und hatte barsch verkündet: »Ich suche mir ein paar chinos , für die ich arbeiten kann. Die können sich meine Dienste wenigstens leisten und zahlen nicht bloß ein paar centavos , wie diese gringos hier.« Guadalupe war eine mürrische Mexikanerin mit langen Zöpfen und einem Hang zu übertriebenem Folkloreschmuck und bestickten Blusen aus Oaxaca, außerdem war sie genau wie Araceli eine ehemalige Studentin. Jetzt waren ihre Augen rot geweint, und ihr kleiner Mund verzog sich im Gefühl des Verrats. »Nach fünf Jahren hätten sie mir eigentlich den Lohn erhöhen sollen. Stattdessen wollen sie ihn kürzen; so würdigt man hier die Treue seiner Mitarbeiter.« Araceli konnte durchs Wohnzimmerfenster sehen, dass la señora Maureen sich ebenfalls die Tränen aus den Augen wischte. » La señora weiß, dass ich wie eine Mutter zu den Jungen gewesen bin«, sagte Guadalupe, und das war einer der letzten Sätze, die Araceli von ihr hörte.
    Jetzt war also nur noch Araceli übrig, allein mit el señor Scott, la señora Maureen und ihren drei Kindern, in diesem Haus am Berg hoch über dem Meer, in einer Sackgasse ohne Fußgänger oder spielende Kinder, ohne das Geplapper von Straßenverkäufern und Polizisten. Es war eine Straße, in der die Stille herrschte. Wenn die Torres-Thompsons und ihre Kinder zu ihren täglichen
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