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Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)

Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Oliver Becker
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1
Das Leben einer Toten
     
    Er beobachtete sie von seinem Bürofenster
aus. Zuerst war sie ihm aufgefallen, weil sie attraktiv war. Dann, weil er sie wiedererkannte.
    Mehr als
zehn Jahre war es her, seit er Laura Winter zuletzt gesehen hatte – bei ihrer gemeinsamen
Abitur-Abschlussfeier. Er wusste nur, dass sie bald darauf aus Freiburg weggezogen
war. In der gemeinsamen Zeit auf dem Gymnasium hatten sie nicht viele Worte miteinander
gewechselt, auf jeden Fall keine freundlichen. Und jetzt stand sie dort unten auf
dem noch regennassen Kopfsteinpflaster und schien über irgendetwas nachzugrübeln.
Auch wenn er sich im dritten Stock befand und sie ziemlich weit weg auf der gegenüberliegenden
Seite der Kaiser-Joseph-Straße war, nahm er die Anspannung in ihrem Gesicht wahr.
Menschen hasteten an ihr vorüber, sie hingegen blieb, wo sie war, und trat dabei
unablässig von einem Fuß auf den anderen. Gedankenschwer starrte sie ins Nichts.
    Nein, er
hatte sie nie leiden können. Und sie ihn erst recht nicht.
    Er ließ
sich auf den Schreibtischstuhl plumpsen. Sein Blick fiel auf den Stapel Visitenkarten,
die er für viel zu viel Geld hatte drucken lassen. Bewusst schlicht die Worte der
Vorderseite, in dezenter Schrift:
    ›John Dietz,
Privatdetektiv
    Ermittlungen
jeder Art‹
    Von den
Karten sah er zu seinem Festnetztelefon, das seit Tagen ebenso stumm war wie das
daneben liegende Handy. »Tja«, sagte er, und das Wörtchen hing leer im Raum. Er
stand auf und wollte in den direkt angeschlossenen Rückzugsraum gehen, als die Klingel
ertönte.
    Rasch drückte
er den Knopf der Sprechanlage: »Ja, bitte?«
    »Bin ich
bei der Detektei?«
    »Na sicher«,
sagte John Dietz und betätigte mit dem zweiten Knopf den Türsummer. »Im dritten
Stock. Der Aufzug ist gleich rechts.«
    Als er kurz
darauf die Tür öffnete, war er überrascht. Obwohl er sie eben noch betrachtet hatte,
war sie seinen Gedanken schon wieder entschlüpft. Sichtlich unschlüssig betrat sie
das Büro. Ein Händedruck und sie nahmen einander gegenüber Platz.
    »Du hast
dich kein bisschen verändert«, sagte er und kam sich irgendwie albern vor.
    »Du auch
nicht.«
    John Dietz
versuchte ein Lächeln und musterte sie. Aufrechte Haltung, blondes Haar, nicht mehr
ganz so lang wie früher, und dieser leicht überhebliche Ausdruck in ihrem Gesicht,
der ihm noch bestens vertraut war, wie er jetzt feststellte.
    »Was kann
ich für dich tun, Laura?«
    Ihre gerunzelte
Stirn zeigte die Anspannung, die ihm bereits vom Fenster aus an ihr aufgefallen
war. Oder die Zweifel, die sie hatte. Zweifel an ihm.
    »Es geht
um meine Schwester.«
    »Ich wusste
nicht, dass du eine Schwester hast.«
    »Ich hatte
eine.« Laura Winter sah ihm geradewegs in die Augen. »Sie ist tot.«
    »Das tut
mir leid.«
    »Felicitas
war deutlich jünger als ich, volle neun Jahre«, fuhr sie fort, als hätte er überhaupt
nichts gesagt. »Vor zwei Monaten wurde sie überfahren. Der Täter beging Fahrerflucht.«
Eine nüchterne Stimme, die nüchterne Worte sprach. Und die doch nicht verbergen
konnte, wie sehr der Schmerz in Laura wütete.
    John bemühte
sich, mitfühlend zu klingen: »Wie gesagt, es tut mir sehr leid. Falls ich dir helfen
kann …«
    »Deshalb
bin ich hier«, fiel sie ihm hart ins Wort.
    Es hatte
offensichtlich nicht geklappt mit dem Mitgefühl. Oder es war eher so, dass Laura
Winter auf Mitgefühl pfiff.
    »Okay«,
sagte John nach einer kurzen Stille. »Du willst also, dass ich den Fahrer ausfindig
mache.«
    Äußerst
prüfend sah sie ihn an. »Was hätte ich davon?«, fragte sie kalt. »Oder meine Schwester?«
    Verdutzt
sah er auf. »Na ja, ich denke, es ist doch nur normal, dass ein Angehöriger möchte,
dass derjenige … Also, dass jemand, der so etwas begangen hat …«
    »Es geht
mir im Moment keineswegs um den Fahrer«, unterbrach sie ihn erneut. »Ich hoffe,
dass ihn die Erinnerung an den Moment, als es passierte, jede Sekunde seines Lebens
quält. Dass er keine einzige Nacht mehr friedlich schläft. Dass er sich selbst dafür
unendlich hasst. Aber die Polizei hat seinen Wagen in den letzten zwei Monaten nicht
ermitteln können und deshalb – entschuldige meine Offenheit – glaube ich nicht im
Geringsten, dass du es schaffen würdest.«
    »Um was
geht es dir dann?«
    Sie lehnte
sich im Stuhl zurück. »Noch mal ganz offen: Ich weiß wirklich nicht, ob es eine
so tolle Idee war, hierherzukommen.«
    »Wenn du
mir nicht erzählen möchtest …«
    »Also schön,
hör einfach zu«,
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