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Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)

Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Oliver Becker
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Die Augen unter der schwarzen wilden, von einem Stirnband kaum gebändigten
Lockenpracht blitzten auf, als sie die Studentin wahrnahmen. Ohrstöpsel wurden herausgezogen,
ein lässiges Berühren des iPhones, zwei Reihen erschreckend makellos weißer Zähne.
    »Hey, Baby«,
kam die Stimme mit fremdländischem Akzent über die Lippen.
    »Hallo,
Santiago«, erwiderte die Studentin freudestrahlend.
    Der junge
Mann in den Sportklamotten beachtete John nicht im Geringsten, seine Augen tasteten
weiter die Frau ab, während er sie dazu zu überreden versuchte, mit ihm unter die
Dusche zu hüpfen. Sie lachte auf, mochte ihn offenbar so sehr, dass sie ihm sogar
die ganz frechen Sprüche verzieh. Mit ein paar weiteren geflöteten Silben gelang
es ihm, sich mit ihr für den Abend in einer Diskothek zu verabreden.
    »Arriba,
arriba«, rief er mit Begeisterung aus und zwinkerte ihr zu. Um dann noch, als er
schon ein paar lässige Schritte weitergegangen war, mit abermals frechem Ton anzufügen:
»Heute Abend lässt du aber Onkelchen zu Hause.« Ein abfälliger Seitenblick streifte
John.
    Und bevor
der etwas erwidern konnte, war der Jogger bereits hinter einer der Türen verschwunden.
Die junge Frau bedachte John mit einem Grinsen und ließ ihn ohne ein weiteres Wort
einfach stehen.
    Na toll,
dachte er. Es blieb dabei. Nichts und wieder nichts.
     
    *
     
    Während er die Staubwüste dieses
alten, bis unter die Decke vollgestellten Kellerbüros betrachtete, hallte in seinem
Kopf noch das eine Wort nach: Onkelchen!
    Dieser Rotzlöffel,
dachte John Dietz. Er war kein ›Onkelchen‹, er war gerade einmal 31, bloß ein paar
Jährchen älter als dieser großschnauzige Jogging-Aufreißer. Ich hätte ihm ordentlich
die Meinung sagen müssen!, schimpfte John in Gedanken mit sich.
    »Worüber
grübelt unser Sherlock Holmes im Kleinformat denn nach?« Tante Jus Frage holte John
zurück in dieses nach altem Papier und Zigarettenqualm muffelnde Büro, das bei der
Renovierung der Geschäftsstelle der Badischen Zeitung wohl einfach übersehen worden
war. So wie man auch Tante Ju übersah und sie einfach weiter ihren Job verrichten
ließ, als wäre sie ein Maskottchen, von dem man sich allein aus Aberglauben unmöglich
trennen konnte.
    »Tu mir
den Gefallen«, antwortete John langsam, »und erspar mir deine Bosheiten. Ich hatte
eben schon das Vergnügen mit einem Frechdachs.«
    Tante Ju
lachte auf. Wie das legendäre Flugzeug Junkers Ju 52, mit dem sie den Spitznamen
teilte, war sie nicht mehr die Jüngste, etwas zu breit und schwerfällig. Doch wenn
sie einmal auf Touren kam, war auf sie Verlass – ebenfalls wie bei dem Flugzeug.
Und selbst ihr Lachen erinnerte an das Rattern von Propellern.
    »Nun guck
nicht so griesgrämig drein, Philip Marlowe.« Sie tätschelte Johns Schulter und ließ
sich auf den uralten Drehstuhl fallen, der unter ihrem Gewicht ächzte. Staubwölkchen
wurden aufgewirbelt. Tante Ju bearbeitete das Archiv, so lautete offiziell ihre
Tätigkeit bei der Zeitung, aber im Grunde war sie einfach die gute Seele, die sich
um alles Mögliche kümmerte.
    John Dietz
saß auf einem dreibeinigen schiefen Hocker, zog das Foto aus der Jackentasche und
hielt es in die Höhe. Irgendwie war ihm, als hätte er es schon mindestens tausendmal
angesehen.
    Tante Jus
lustiges, von Runzeln übersätes Hexengesicht schob sich über den randvollen Aschenbecher,
die unzähligen Zeitungen, die halb leeren Kaffeetassen und die bekritzelten Notizzettel,
die den Schreibtisch zu einem einzigen Durcheinander machten. Sie blinzelte über
ihren Brillenrand. »Ein entzückendes Mädchen.«
    »Entzückend«,
nickte John. »Und leider tot.«
    »Sag bloß,
du hast tatsächlich so etwas Ähnliches wie einen Fall.«
    »So etwas
Ähnliches.« Säuerlich sein Lächeln. »Kommt dir das Gesicht bekannt vor?«
    »Nö.« Das
Blinzeln wurde intensiver. »Oder doch?« Tante Ju, die eigentlich Juliane Butzenberg
hieß, kratzte sich irgendwo in den Tiefen ihres grauen, auf urzeitlich altmodische
Art hochgesteckten Haardschungels. »Hm.«
    »Ja oder
nein?«
    Schließlich
ein entschiedenes Kopfschütteln. »Nö, leider ein Nein. Zuerst dachte ich … Nö. Nie
gesehen. Warum bist du so interessiert an ihr?«
    »Interessiert
ist eher ihre Schwester.«
    Gepolter
drang vom Erdgeschoss durch die Decke zu ihnen nach unten.
    »Die Handwerker«,
erklärte Tante Ju. »Hast ja gesehen, was oben los ist.«
    »Da ist
doch erst kürzlich renoviert worden.«
    »Renoviert?
Das hat doch
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