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Samtpfoten im Schnee

Samtpfoten im Schnee

Titel: Samtpfoten im Schnee
Autoren: Cathleen Clare
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    1 Kapitel
    In Gedanken versunken streichelte Stephanie Fluffys weiches, glattes Fell und betrachtete dabei die trostlose Dezember-Szenerie, die langsam am Fenster der Kutsche vorüberglitt. Die Reise von Kent nach Yorkshire war lang und unbequem gewesen, aber jetzt neigte sich die Fahrt ihrem Ende zu. Nach den Worten des Wirtes, bei dem sie zur Mittagsrast eingekehrt waren, würden sie in ungefähr einer Stunde und noch vor Einbruch der Dunkelheit ihr Ziel erreicht haben. Ihr Ziel war das Horse and Hound, das Gasthaus, das Stephanies Tante und deren Mann gehörte. Stephanie vermisste ihr Zuhause schon jetzt. In Kent sah man selbst im grauen Winter noch Grün. Doch hier, in der tristen Moorlandschaft Yorkshires, gab es scheinbar nichts, was das Auge erfreuen konnte. Was an Grün er-späht werden konnte, wurde sogleich von einem trüben Ne-belschleier wieder verschluckt. Doch Stephanie kannte keine Schwermut und war daher entschlossen, aus der misslichen Situation das Beste zu machen.
    Nach dem Tod ihres Vaters war das Familiengut einem entfernten Neffen zugefallen, einem ungehobelten Mann mit der Neigung zur Skrupellosigkeit. Dessen einziges Ansinnen war es gewesen, seine Verwandten aus seiner Sphäre zu entfernen, die aus endlosen Gesellschaften bestand, die er mit seinesgleichen veranstaltete. Stephanies Mutter waren nur das Witwenhaus und eine vierteljährliche Zuwendung geblieben. Lady Blythe und ihre Tochter erkannten recht schnell, dass es ihnen ganz und gar nicht zusagen würde, in dem verderbten Klima zu bleiben. Die ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel gestatteten ihnen jedoch bei weitem nicht, sich an einem anderen Ort einen eigenen Hausstand einzurichten. Von den vielen Briefen, die Lady Blythe an ihre zahlreichen Verwandten geschrieben hatte, war nur der an ihre jüngere Schwester von Erfolg gewesen.
    Und deshalb hatten Stephanie und ihre Mutter die Einladung angenommen, auf unbestimmte Zeit im Horse and Round zu wohnen. Nichtsdestotrotz hatte Lady Blythe ungezählte Tränen über die Tatsache vergossen, dass sie an einem solchen Ort würden leben müssen. Aber selbst dies erschien besser, als im Umfeld von Blythe Manor auszuharren.
    Stephanie wandte den Kopf und schaute ihre Mutter verstohlen von der Seite an. Lady Blythe, klein und dünn von Gestalt, hielt die schmalen Lippen fest zusammengepresst.
    Der Ärmsten musste das alles noch mehr zu schaffen machen als ihr selbst. Stephanie war eine hübsche, junge Frau, die mit ihren wohl geformten Rundungen mit dem harten Sitz und der herrschenden Kälte viel besser zurechtkam als die ältere Dame. Ihr Herz flog ihrer Mutter zu. Vielleicht wä-
    re es doch besser gewesen, sie hätten bis zum Frühjahr mit der Reise gewartet, doch Lady Blythe war entschlossen gewesen, ihre Tochter aus »der unglückseligen Sphäre dieses verabscheuungswürdigen Lebemannes« fortzubringen.
    Als spüre sie deren besorgt-prüfenden Blick, sah Lady Blythe ihre Tochter an. »Sei nicht besorgt meinetwegen, Stephanie. Es geht mir gut - wenn ich auch zugeben muss, dass meine Füße beginnen, sich wie aus Eis anzufühlen. Der Fußwärmer ist schon seit langem kalt.«
    »Vielleicht hat meiner die Wärme länger gespeichert.« Stephanie beugte sich hinunter, um den großen Speckstein zu ihrer Mutter hinüberzuschieben.
    Lady Blythe lehnte das Angebot ab. »Den behältst du, mein Liebes. Ich bestehe darauf. Mir geht es gut.«
    »Aber...«
    »Nein. Wir müssen doch darauf achten, dass deine hübschen Füße in der Verfassung bleiben, tanzen zu können.«
    Sie strich sich resigniert über die Stirn. »Obwohl ich nicht weiß, wozu. Wie könntest du in dieser Einöde einen passenden jungen Mann finden? O Stephanie, das ist es, was ich an dieser misslichen Lage am meisten verabscheue. Du solltest die Saison in London mitmachen - elegante Abendge-sellschaften, Bälle und Opernbesuche. Und was erwartet uns stattdessen? Ein grässliches Gasthaus am Ende der Welt! Dein Vater war nicht ganz bei Verstand, als er dieses Testament verfasst hat. O nein, ganz gewiss war er das nicht!«
    Stephanie zog es vor, dieses Thema zu vermeiden. Sie hob die Katze hoch und setzte sie ihrer Mutter auf den Schoß.
    »Fluffy ist schön warm. Wir könnten sie vielleicht dazu bewegen, sich auf deine Füße zu legen.«
    »Du liebe Güte, nein! Sie würde dort unten erfrieren.« La-dy Blythe lächelte schuldbewusst. »Wir verwöhnen dieses Tier ganz schrecklich, nicht wahr?«
    »Ja, das tun wir, aber sie
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