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Eiskalte Hand

Eiskalte Hand

Titel: Eiskalte Hand
Autoren: Claudia Muther
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Prolog
     
     
    „Darf es noch ein Getränk sein für Sie?“ Die Bedienung mit dem hochgesteckten schwarzen Haar schenkte dem alten Mann aus ihren dunklen mandelförmigen Augen einen freundlichen Blick. Der ergraute Herr in seiner Brokatrobe musterte die junge Frau abschätzend aus den Augenwinkeln – ganz so, wie er wohl auch ein Rennpferd vor einem potenziellen Kauf gemustert hätte. Es war ein netter Anblick, der sich ihm bot. Ihr schlanker und wohlgeformter Körper steckte in der einfachen Tracht, die alle weiblichen Service-Kräfte der Catering-Firma trugen. Hellgrün mit weißen Lotusblüten bestickt, endete der Kimono kurz über dem Knöchel. Ein einfaches Band hielt ihn in der Taille zusammen. An der linken Seite baumelten kunstvoll geflochtene Fäden in den Farben des Hauses, das die Feier in Auftrag gegeben hatte. Heute waren sie orange und grün. Die offenkundig lange Haarpracht wurde durch zwei elfenbeinerne Haarnadeln gehalten, die über Kreuz hinter ihrem Kopf emporragten. Man merkte gleich, dass es Ajung Lang, dem ersten Caterer der Stadt, wichtig war, dass alles perfekt zusammen passte. Nicht nur bei den exquisiten Speisen, sondern auch beim Personal. So beschäftigte er ausschließlich attraktive Bedienungen. „Schließlich isst das Auge mit“, pflegte er zu sagen.
     
    Dem alten Mann schien zu gefallen, was er sah. Zumindest huschte ein kaum merkliches Lächeln über sein Gesicht, als er nach einem Glas Rotwein griff. Das war mehr, als ein Adeliger sonst einem Lakaien gegenüber an positiver Regung zeigte. Dann wandte er sich um und erblickte eine Frau, die dermaßen mit Edelsteinen behangen war, dass man kaum wagte sie anzuschauen, ohne fürchten zu müssen, dass man erblindete. Gemächlich schritt er auf sie zu und verneigte sich. „Ah, Gnädigste, es ist schön, euch zu sehen. Wie geht es dem werten Gemahl?“
     
    Die große Halle quoll nur so über vor Menschen. Musiker und Gaukler boten zwischen den Gästen ihre Kunst feil. Zahlreiche Bedienungen bahnten sich geschickt und zielsicher ihren Weg, um die Gäste mit ausgesuchten Köstlichkeiten zu verwöhnen. Wenn Cha Ko Nun zu einer Party lud, dann kamen sie alle – die Reichen und Schönen. Sehen und gesehen werden, darum ging es hier. Der konkrete Anlass war in der Regel nur eine Nebensache. Und wer keine Einladung erhielt, der verlor schnell an Ansehen im komplexen Beziehungs- und Hierarchiegefüge in Quandala.
     
    Die Bedienung hatte inzwischen den hinteren Teil der Halle erreicht. Auf ihrem Tablett trug sie nur noch leere Gläser. Vorsichtig schaute sie sich um, stellte in einem unbeobachteten Moment ihr Tablett hinter einer breiten Säule ab und huschte durch eine nahegelegene Tür. Einmal tief durchatmen, dann sondierte sie den Raum vor sich. Es handelte sich um einen kleinen Flur, an dessen Ende sich eine weitere Tür befand. Links und rechts an den Wänden standen Truhen, die kunstvoll mit Intarsien und Malereien verziert waren. Darüber erhellten kristallene Leuchter den Raum mit ihrem Licht.
     
    Mit geschickten Griffen entledigte sich die junge Frau ihrer Tracht. Darunter kam ein eng anliegender dunkel-grauer Anzug zum Vorschein. Die Muster auf dem Stoff schienen sich fast zu bewegen. Zumindest konnte man nicht lange dorthin schauen. Ideale Voraussetzungen, wenn man sich im Schatten verstecken wollte. Aus dem Gürtel zog die Frau ein paar Handschuhe, die sie überstreifte. Dann packte sie die Tracht und stopfte sie in eine der Truhen. Zielstrebig steuerte sie auf die nächste Tür zu. Den Grundriss der Villa hatte sie sich vorher bis ins kleinste Detail hinein eingeprägt. So wusste sie, dass hinter der Tür eine weitere Halle lag, in der sich ein Treppenhaus befand. Am oberen Ende der Treppe wartete ein quer verlaufender Flur, auf dem zumindest eine Wache patrouillieren würde.
     
    Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt. Alles war so, wie erwartet. Wächter konnte sie für den Moment nicht sehen. Die junge Frau huschte flink durch die Tür und lief mit lautlosen Schritten zur Treppe herüber. Sich eng ans schwere Marmorgeländer schmiegend, schlich sie wie eine Katze die Stufen empor. Konzentriert lauschte sie in den Gang hinein. Von rechts kamen Schritte näher. Augenblicklich presste sie sich flach an das Geländer und machte sich zum Sprung bereit. Drei…zwei…eins...los! Mit einem geschickten Satz sprang sie seitlich auf den Wächter zu, als der ihr Versteck passierte. Noch während sie in der Luft war, riss sie
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