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Unser sechzehntes Jahr (German Edition)

Unser sechzehntes Jahr (German Edition)

Titel: Unser sechzehntes Jahr (German Edition)
Autoren: Nancy Salchow
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Kapitel 1 : Wachsein
     
     
    Der kalte Wind weckt meine Sinne. Seit sechzehn Jahren habe ich den Eindruck, dass Wachsein nicht gleich Wachsein ist. Auf meinem Weg vom Hotel zur Seebrücke spüre ich mit jedem Schritt ein bisschen mehr von mir. Mein Gesicht. Meine Hände. Langsam kommt alles zu sich.
    Ich bin dankbar für die Oktoberkälte, die mir in die Nase, die Knochen und den Verstand kriecht. Wachsein.
    Eine Woche Rügen. Nathalies fünfzehnter Geburtstag. Nur Armin, Nathalie und ich. Eine gute Idee. Und eine der wenigen, auf die ich stolz bin.
    Nicht selten habe ich mir einen schöneren Geburtstagsmonat für Nathalie gewünscht. Einen wärmeren. Doch in diesem Moment freue ich mich darüber, nicht im von Touristen überfüllten Sommer nach Binz gereist zu sein.
    "Bist du dir sicher, dass du diesen Urlaub willst, Dascha?", hatte Armin mich noch vor einem Monat gefragt. Und ich war sicher.
    Vielleicht war es der Wunsch, den besonderen Tag in einer fremden Umgebung zu begehen. Eine Umgebung, die frei von Erinnerungen ist. Frei von Bildern aus der Vergangenheit.
     
    Aber natürlich kommen die Erinnerungen mit. Egal, wohin man geht. Und egal wie schnell. Wie dumm von mir zu glauben, dass es anders wäre.
    Das Wasser links und rechts vom Steg scheint unter einem grauen Schleier zu liegen. Vielleicht wartet es ebenfalls auf das Wachsein. Meine Schritte werden kräftiger, größer. Ich schiebe den Ärmel meiner Windjacke von der Uhr. Kurz nach Sieben. Wenn ich ins Hotel zurückkomme, werde ich Nathalie wecken. Sicher ist sie auch heute nur schwer aus den Federn zu kriegen. Trotzdem. Der Tag sollte nicht zu spät für sie beginnen. Man wird nur einmal Fünfzehn.
     
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    "Ich fasse es nicht." Nathalie fällt zuerst Armin, dann mir um den Hals, während sie fast die Milchkanne vom Frühstückstisch stößt. "Und dann gleich zwei Tickets. Danke. Das ist so geil!"
    "Wir dachten, du würdest vielleicht gerne Jenny mitnehmen. Ihr habt so von der Band geschwärmt", sagt Armin.
    "Die Sleeping Umbrellas sind echt die Größten. Aber wie habt ihr das gemacht? Die Tickets sind seit Monaten ausverkauft und außerdem schweineteuer."
    Ich schaue zu Armin. Er ist der Computer freak von uns beiden. Kümmert sich um alles. Besorgt alles.
    "Wozu gibt’s das Internet ?", antwortet er.
    Nathalie fällt ihm erneut um den Hals. "Danke, Papa! Das ist echt das geilste Geschenk, das ihr mir machen konntet."
    Sie so euphorisch zu sehen, fegt für einen kurzen Moment alle negativen Gedanken weg.
    Die unbeschwerte Freude. Die hemmungslose Begeisterung.
    "Das ist nur eines von vielen Geschenken. Den Rest bekommst du, wenn wir vom Schiffsmuseum zurückkommen", sage ich und erwarte einen weiteren Begeisterungsausbruch.
    "Museum?" Ihre Mundwinkel ziehen sich nach unten. "Wollen wir da wirklich hin? Ich dachte, das war nur so 'ne spontane Idee. Wirklich fest war das doch noch nicht, oder?"
    Armin sucht meinen Blick. Er scheint der einzige von uns zu sein, der sich wirklich für Freizeitgestaltungen dieser Art begeistern kann.
    "Wenn du lieber was anderes machen willst, können wir das Museum auch sausen lassen", antworte ich.
    "Ich würde viel lieber in die Stadt gehen. Ein bisschen shoppen." Den obligatorischen Geburtstags-Fünfziger scheint sie bereits fest eingeplant zu haben.
    Ich nicke.
    Auch Armin gibt sich geschlagen. "Es ist dein Geburtstag. Du bist die Chefin."
    Nathalie s Augen leuchten vor Freude . Wie leicht es ist, sie zum Strahlen zu bringen. Doch die Zahl, die hinter dem Tag steht, schiebt sich schneller in mein Bewusstsein zurück, als ich erwartet hätte. Fünfzehn. Ein Meilenstein im Leben eines Mädchens. Eine Zahl, die Möglichkeiten aufwirft und erste Blicke auf das Frausein gestattet. Und Nathalie hat es gut im Blick, das Frausein. Sie scheint dem Erwachsenwerden bereits näher zu sein, als mir und vor allem Armin lieb ist. Ich sehe die Wehmut in seinen Augen, während er ihr beim Verschlingen des Croissants zuschaut. Sein kleines Mädchen, das langsam flügge wird.
    Aber auch ohne die Wehmut in seinen Augen weiß ich, woran er denkt. Ohne dass er es ausspricht. Niemand von uns würde sich den Gedanken eingestehen, auch wenn wir wissen, dass es bei uns beiden derselbe ist.
    Fünfzehn. Der letzte Geburtstag von Fiona. Sechzehn Jahre ist das her.
     
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    17. August 1994
     
    Liebes Tagebuch,
    es ist alles so aufregend! Theo hat mich das erste Mal zur Bandprobe eingeladen. Der coolste Typ
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