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Tolstoi, A. K.

Tolstoi, A. K.

Titel: Tolstoi, A. K.
Autoren: Die Familie des Wurdalak
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Die Familie des Wurdalak
    Das Jahr 1815 brachte in Wien alle Berühmtheiten zusammen: die Gelehrten Europas, Edelmänner mit brillantem Verstand und überaus fähige Diplomaten. Doch nun war der Kongress beendet.
    Die königlichen Emigranten bereiteten sich darauf vor, endgültig in ihre Schlösser zurückzukehren und die russischen Krieger freuten sich, ihr verlassenes Heim wiederzusehen. Einige unzufriedene Polen trafen Vorbereitungen, ihre Liebe zur Freiheit nach Krakau zurückzubringen, um sie vor der dreifachen und zweifelhaften Unabhängigkeit zu schützen, die ihnen von dem Fürsten von Metternich, dem Fürsten von Hardenberg und dem Grafen von Nesselrode zugestanden worden war.
    Dem Ende eines lebhaften Balls gleichend, war die jüngst laute Sitzung auf eine kleine Zahl nach Unterhaltung suchender Personen reduziert, die, fasziniert von dem Charme der österreichischen Damen, es vermieden zu packen und ihre Abreise aufschoben.
    Diese fröhliche Gesellschaft, von welcher ich Teil war, traf sich zweimal in der Woche im Schloss der stinkreichen, alten Frau Prinzessin von Schwarzenberg, das sich einige Meilen außerhalb der Stadt und weit hinter einer kleinen Burg namens Hitzing befand. Die vornehme Art der Hausherrin, hervorgehoben durch ihre anmutige Liebenswürdigkeit und ihre Scharfsinnigkeit, gestalteten den Aufenthalt in ihrem Hause äußerst angenehm.
    Morgens gingen wir spazieren. Wir aßen immer gemeinsam zu Mittag, entweder im Schloss oder aber irgendwo in dessen Umkreis und abends, gemütlich um ein Kaminfeuer vereint, amüsierten wir uns damit, uns zu unterhalten oder Geschichten zu erzählen. Es war strengstens untersagt, über Politik zu diskutieren; wir alle hatten schon genug darüber geredet. Unsere Erzählungen waren den Legenden unserer Länder entnommen oder stammten aus unseren persönlichen Erinnerungen.

    Eines Abends, als alle schon etwas beigetragen hatten und die Stimmung an einem Punkt angelangt war, an dem sich normalerweise die Obskurität und die Stille intensivieren, unterbrach der Marquis d’Urfé, ein alter Emigrant, den wir alle wegen seiner jugendlichen Fröhlichkeit und seiner anregenden Art, wie er von seinen vergangenen, glücklichen Zufällen redete, die Stille und ergriff das Wort:

    „Ihre Geschichten, meine Herren“, sagte er, „sind zweifelsohne sehr erstaunlich, aber meines Erachtens fehlt ihnen ein wichtiger Punkt. Was ich meine, ist die Authentizität, denn ich wüsste nicht, dass irgendwer unter Ihnen die erzählten und wunderbaren Geschehnisse mit seinen eigenen Augen gesehen hätte oder diese, mit seinem Wort als Edelmann als wahr bestätigen könnte.“
    Wir waren gezwungen, dies einzugestehen und der Alte, sich mit der Hand über sein Jabot fahrend, fuhr fort:
    „Ich, aber, meine Herren, kenne nur ein einziges solches Abenteuer, aber es ist so sonderbar, so entsetzlich und so wahr, dass das allein schon reichen würde, die Ungläubigsten in Angst und Schrecken zu versetzen. Unglücklicherweise war ich selbst Zeuge und Teilnehmer zugleich, und obwohl ich mich nicht gerne daran erinnere, werde ich es Ihnen dieses eine Mal gerne erzählen, vorausgesetzt, die Damen seien damit einverstanden.“
    Die Zustimmung war einhellig. Um die Wahrheit zu sagen, richteten sich ein paar ängstliche Blicke auf das Spiel von Licht und Schatten, das vom Licht auf das Parkett geworfen wurde; bald aber rückten wir enger zusammen und jeder schwieg, um die Geschichte des Marquis zu hören. Herr d’Urfé nahm eine Prise Tabak, zog sie langsam ein und fing mit folgenden Worten an:
    Zu Beginn, meine Damen, bitte ich Sie mir zu verzeihen, falls ich während meiner Erzählung zu oft von Angelegenheiten des Herzens spreche, als es für einen Mann meines Alters angebracht ist. Aber ich werde diese dennoch, für das Verständnis meines Berichtes, erwähnen müssen. Im Übrigen ist es dem Alter erlaubt, einige Momente des Vergessens zu haben, und es ist sicherlich auch ein wenig Ihretwegen, meine Damen, wenn ich immer noch dazu tendiere zu glauben, ich sei ein junger Mann, wenn ich Sie so schön vor mir sitzen sehe. Also werde ich Ihnen ohne weitere Umschweife sagen, dass ich im Jahre 1759 über alle Maßen in die hübsche Herzogin de Gramont verliebt war. Diese Leidenschaft, die ich damals tief und immerwährend glaubte, ließ mich weder Tag noch Nacht ruhen, und die Herzogin, so, wie es oft die hübschen Frauen machen, kokettierte gerne, was mich umso mehr folterte. So gut war sie
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