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Tolstoi, A. K.

Tolstoi, A. K.

Titel: Tolstoi, A. K.
Autoren: Die Familie des Wurdalak
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mein Herz gedrungen waren, dem der charmanten Herzogin folgend.
    Bald hatte ich meine Gastgeber und ihre Besorgnisse vergessen.
    Plötzlich unterbrach Georges die Stille.
    „Frau“, sagte er, „um welche Zeit ist der Alte gegangen?“
    „Um acht Uhr“, antwortete die Frau, „ich habe deutlich die Kirchenglocke des Klosters acht Uhr schlagen hören.“
    „Dann ist es gut“, griff Georges wieder auf, „es kann noch nicht später als sieben Uhr dreißig sein.“ Er schwieg und starrte wieder den großen Weg an, der sich im Wald verlor.
    Ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, meine Damen, dass, wenn die Serben jemanden des Vampirismus verdächtigen, sie versuchen es zu vermeiden, ihn bei seinem Namen zu nennen oder ihn in einer anderen Art direkt zu bezeichnen, denn sie denken, sie würden ihn damit aus seinem Grab rufen. Übrigens bezeichnete Georges seinen Vater seit einiger Zeit nicht mehr mit seinem Namen, sondern nannte ihn nur noch den Alten .
    Einige Momente der Stille vergingen. Plötzlich sagte eines der Kinder zu Sdenka, sie an der Schürze ziehend:
    „Meine Tante, wann kommt Opa zurück nach Hause?“
    Eine Ohrfeige von Georges war die Antwort auf diese unzeitige Frage.
    Das Kind fing an zu weinen, aber sein kleiner Bruder sagte mit einer zugleich erstaunten und ängstlichen Miene:
    „Wieso, mein Vater verbietest du es uns, von Opa zu sprechen?“
    Eine weitere Ohrfeige brachte den Jungen zum Schweigen. Die zwei Kinder begannen laut zu weinen und die ganze Familie bekreuzigte sich.
    So saßen wir also, als ich die Turmuhr des Klosters langsam acht Uhr schlagen hörte. Kaum war der erste Schlag ertönt, sahen wir, wie sich eine menschliche Gestalt vom Wald abhob und sich auf uns zubewegte.
    „Er ist es! Gott sei gelobt!“, schrien alsbald Sdenka, Pierre und die Schwägerin.
    „Gott habe uns unter seinem heiligen Schutz!“, sagte Georges feierlich. „Wie sollen wir bloß wissen, ob die zehn Tage schon abgelaufen sind oder nicht?“
    Alle schauten ihn entsetzt an. Währenddessen näherte sich die menschliche Form. Es war ein großer Greis mit einem silbernen Schnauz, einem bleichen, ernsten Gesicht, der sich, mit Hilfe eines Stockes, mühsam dahinschleppte. Je näher er kam, desto schwermütiger wurde Georges. Als der Neuankömmling nah bei uns war, hielt er an und beäugte seine Familie mit Augen, die nicht zu sehen schienen, so sehr waren sie glanzlos und in ihre Höhlen eingesunken.
    „Na“, sagte er mit einer leeren Stimme, „steht niemand auf, um mich zu empfangen? Was soll diese Stille bedeuten? Seht ihr nicht, dass ich verletzt bin?“
    In diesem Moment sah ich, dass die linke Seite des Greises blutbefleckt war.
    „Stützt doch euren Vater“, sagte ich zu Georges, „und Ihr, Sdenka, Ihr solltet ihm etwas Likör geben, er ist kurz davor, aus Schwäche hinzufallen.“
    „Mein Vater“, sagte Georges, sich Gorcha nähernd, „zeigt mir Eure Verletzung, ich kenne mich aus, ich werde sie versorgen …“
    Er war drauf und dran, seine Kleider zu entfernen, aber der Greis stieß ihn grob beiseite und bedeckte seine Seite mit beiden Händen.
    „Siehst du, du Unglücklicher“, sagte er, „du hast mir wehgetan!“
    „Aber dann seid Ihr im Herzen verletzt!“, rief Georges ganz bleich. „Kommt schon, entfernt Eure Kleidung, Ihr müsst, Ihr müsst, sag ich Euch!“
    Der Greis streckte sich steif zu seiner ganzen Größe.
    „Pass auf“, sagte er mit einer klanglosen Stimme, „wenn du mich anfasst, verfluche ich dich!“
    Pierre stellte sich zwischen Georges und seinen Vater.
    „Lass ihn in Ruhe“, sagte er, „siehst du nicht, dass er leidet?“
    „Ärgere ihn nicht“, fügte seine Frau hinzu, „du weißt doch, dass er es nie toleriert hat!“
    In diesem Moment sahen wir eine Herde, die von der Weide zurückkam und sich in einer Staubwolke auf das Haus zubewegte. Entweder erkannte der Hund seinen alten Herrn nicht oder aber er hatte einen anderen Grund, aber sobald er Gorcha erblickte, hielt der Hund an und mit gesträubtem Fell fing er an zu jaulen, als ob er etwas Übernatürliches entdeckt hätte.

    „Was hat denn der Hund?“, fragte der Greis mit unzufriedener Miene. „Was soll das bedeuten? Bin ich als Fremder in mein eigenes Heim zurückgekehrt? Haben mich die zehn Tage in den Bergen so verändert, dass nicht mal mehr meine eigenen Hunde mich wiedererkennen?“

    „Hörst du ihn?“, fragte Georges seine Frau.
    „Was denn?“
    „Er gibt zu, dass die zehn Tage verstrichen
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