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Im Zeichen der blauen Flamme

Titel: Im Zeichen der blauen Flamme
Autoren: Federica de Cesco
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Jeder soll Zeuge sein, wie ich der Gottheit die Entscheidung über Leben oder Tod überlasse.«

3
    M eine Worte fielen mit vernichtender Schärfe in die Stille. Ich sah, wie das Blut aus Iris Gesicht wich. Doch sein Mund blieb verschlossen wie eine zugeschnappte Stahlfalle, während ich mich verneigte und ihm den Rücken zuwandte. Niemand bewegte sich, als ich den Raum verließ. Draußen schlug mir die Helligkeit entgegen. Meine Lider zuckten im grellen Sonnenlicht. Die Burgmauern warfen scharfe Schatten auf den Sand. Hoch oben auf dem Wall gingen zwei Wächter aneinander vorbei und kreuzten ihre Speere zum Gruß. Die Standarten leuchteten in der eisigen blauen Herbstluft.
    Ich schritt durch den Hof und stieg langsam die Treppe hinauf. Mein Zorn war verflogen: Unsagbarer Schmerz drückte mich nieder. Als ich fast oben angelangt war, blieb ich stehen und lehnte mich schwer atmend gegen die Mauer. Mein Schluchzen drohte mich zu ersticken, aber es gelang mir, die Tränen zu unterdrücken.
    Ich ging weiter. Zwei Männer meiner Leibgarde standen vor meinen Gemächern. Maki kam herbeigeeilt. Sie kniete vor mir hin und löste die Riemen meiner Sandalen von den Füßen. Dann schob sie die Schiebetür beiseite. Als ich die Schwelle überschritt, sah ich gleich die beiden Priesterinnen, die auf der Matte knieten. Sie hatten die Hände flach auf den Boden gelegt und hielten den Kopf gesenkt. Stumm verharrten sie in dieser unterwürfigen Haltung.
    Ich wandte mich an Etsu. Sie hob demutsvoll den Kopf, doch blickte weiterhin zu Boden.
    Â»Sprich!«
    Etsus Lippen verzerrten sich. »Majestät, wir können mit dieser Schande nicht weiterleben. Wir bitten Euch, unserem Leben ein Ende setzen zu dürfen.«
    Â»Ich brauche Euer Leben!« Meine Stimme klang schneidend.
    Etsu kniff die Lider zusammen und schwieg. Hana rührte sich nicht. Ihre Stirn lag auf der Matte, und ich merkte, dass sie weinte.
    Ich aber stand tränenlos aufrecht und fuhr fort: »Heute Nacht wurde die Göttin beleidigt. Es ist unsere Pflicht, ihrer Ehre Genugtuung zu verschaffen.«
    Etsu holte gepresst Atem. »Verzeiht. Wie lange werden wir diese Schmach noch ertragen müssen?«
    Â»Seine Allerhöchste Majestät legte das Gelübde ab, an der äußersten Grenze des Landes ein Heiligtum zu bauen. Ihr werdet Euer Amt im Dienste der Gottheit noch so lange verrichten, bis dieses Heiligtum fertiggestellt ist. Dann werde ich Euch gewähren, was Ihr begehrt.«
    Etsus Stimme war nur ein Hauch. »Wie Ihr befehlt, Majestät. Nehmt unseren Dank entgegen.«
    Beide Frauen verneigten sich und ich erwiderte ihre Verneigung. Sie erhoben sich und schritten zur Tür. Maki verbeugte sich und schloss die Tür hinter ihnen. Ich war allein, Maki zählte nicht. Ich ließ mich auf die Matte sinken und heiße Tränen flossen mir über die Wangen. Ich weinte lange, vor Verzweiflung und Einsamkeit. Dann trocknete ich mein Gesicht, ließ mich sorgfältig von Neuem schminken und befahl Maki: »Man soll die Sänfte bereitstellen.«
    Die Nachricht, dass ich ins Meer tauchen würde, um das Sternenschwert zu bergen, hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Iri war meinem Entschluss gegenüber ohne Einfluss. Als Sonnenpriesterin stand ich höher als jede weltliche Macht. Sollte es mir gelingen, das Schwert zu bergen, war seine Legende gefestigt: Niemand, nicht einmal der König, würde es nunmehr wagen, sich an der Waffe zu vergreifen. Doch sollte ich mein Leben dabei verlieren, würde sich die Sage von Iris Unbesiegbarkeit über die ganze Inselgruppe verbreiten. So blieb ihm die geringe Hoffnung, aus der Begebenheit Nutzen zu ziehen, und er war klug genug, dem Gottesurteil nichts entgegenzusetzen.
    Ich dachte an die Nachricht, die er dem Herrscher von Izumo gesandt hatte. Wie würde Susanoo sie aufnehmen? Würde er sein Heer rüsten und sich mit den Ainu verbünden, um Tatsuda anzugreifen? Ich fuhr mit der Hand über meine Stirn. Ich fühlte, dass ich schwitzte. »Nein«, murmelte ich halblaut, »das wirst du nicht tun. Vorausgesetzt dass du nicht dazu gezwungen wirst …«
    Ich konnte hören, wie unten im Hof die Krieger sich sammelten. Das Geräusch der Männerstimmen erfüllte die Luft, als ein Diener kam und meldete, dass die Sänften bereit seien. Ich verließ mein Gemach. Etsu und Hana folgten mir mit gesenkten Blicken, die
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