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Im Zeichen der blauen Flamme

Titel: Im Zeichen der blauen Flamme
Autoren: Federica de Cesco
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der Kette und pfiff beruhigend zwischen den Zähnen. Der Adler senkte wieder die Flügel. Den Blick geradeaus gerichtet, ging ich an ihm vorbei. Ein Offizier salutierte und öffnete mir den Torflügel. Ich trat in den Sitzungssaal. Die vergitterten Fensterschlitze ließen nur spärliches Sonnenlicht herein. Fackeln erhellten den Saal. Die mächtigen Deckenbalken glänzten wie Bernstein. Wohlriechende Hölzer glimmten in kunstvoll verzierten Bronzegefäßen. Die Ratsmitglieder saßen mit untergeschlagenen Beinen vor der Estrade, auf der der König Platz genommen hatte. Generäle und Offiziere hatten ihre Schwerter vor sich auf den Boden gelegt. Ihre Gesichter waren unbewegt, ihre Blicke durchdringend und kalt. Das Licht der Fackeln funkelte auf den Brustpanzern; die bunten Seidengewänder schillerten bei jeder Bewegung im wechselnden Spiel der Flammen.
    Iri saß auf einem Brokatkissen in der Mitte der Estrade. Er trug ein bronzefarbenes Gewand mit Flügelärmeln, darüber einen leichten Harnisch aus Bambus und Silberplättchen. Nach Art der Tungusen war das Haar hochgesteckt und hinten zu einem Knoten gewunden, der mit einer Goldspange gehalten wurde. Zwei Schwerter - ein kurzes und ein langes - steckten in seiner Gürtelschärpe. Sein Gesicht mit den hohen Wangenknochen wirkte kühn und hart, seine schrägen Augen blitzten mit kühler Arroganz, während er die Worte seines Vetters Yi-Am, der zugleich Oberbefehlshaber seiner Flotte war, sinnend zur Kenntnis nahm.
    Â»Majestät«, sagte Yi-Am, »die Ainu haben eine schwere Niederlage erlitten. Außerdem sind im Winter die Flüsse mit Packeis bedeckt und nicht schiffbar. Wir sollten den Frühling abwarten. Sobald das Eis geschmolzen ist, können wir mit einem einzigen raschen Vorstoß über die Inseln gelangen und das Ostmeer erreichen.« Er verbeugte sich steif und schien auf eine Antwort zu warten. Doch Iri strich nur schweigend über den feinen schwarzen Bart, der seine schön geschwungenen Lippen umrahmte.
    Oba, einer der Befehlshaber, ein pockennarbiger Mann mit groben Gesichtszügen, verneigte sich und ergriff das Wort. »Majestät, der Herrscher von Izumo ging zum Feind über, und es besteht die Gefahr, dass er Euch in den Rücken fällt. Wenn Ihr den Vorstoß nach Osten wagt, würdet Ihr Eure Provinzen schutzlos zurücklassen. Eure Flanken wären nicht gedeckt und ein Rückzug nicht gesichert …«
    Ich hörte Iri kurz und leise auflachen und spürte, wie mein Atem schneller ging. Ich kannte dieses Lachen und den gefährlichen sanften Klang, den er seiner Stimme immer dann gab, wenn er sich am stärksten fühlte.
    Â»Der Herrscher von Izumo beging Verrat an meiner Ehre, an der Ehre seines Volkes und an der Ehre seiner Vasallen. Seine eigenen Verbündeten werden ihn meiden wie die chinesische Krankheit. Nur sehr wenige - außer seinen eigenen Landsleuten - werden seinen Befehlen Folge leisten. Was die Ainu betrifft … sie sind Tiere«, fügte er verächtlich hinzu. »Nichts anderes als Tiere …«
    Â»Jawohl, Majestät, aber gefährliche!«, sagte Yi-Am, der genau wusste, wann er sich einen Scherz erlauben konnte. Der Erfolg blieb nicht aus: Iri schlug sich auf die Schenkel und schüttelte sich vor Lachen und alle anderen lachten beflissen mit.
    Doch plötzlich verstummte Iri. Über Yi-Ams Schultern hinweg richtete sich sein Blick auf mich, als ich aus dem hellen Torbogen trat. Stille breitete sich aus. Die Männer berührten mit den Handflächen den Boden und verneigten sich. Langsam schritt ich durch den Saal und warf einen langen Schatten vor mir auf die Fliesen. Es war nichts Ungewöhnliches, dass ich in der Ratssitzung erschien, aber Iris Leute konnten sich nur schlecht daran gewöhnen: Sie kamen aus einem Land, in dem Frauen den Geschäften der Krieger fernblieben. Mein karminroter Überwurf glänzte wie Kupfer im Fackelschein, und ich spürte, wie der Atem der Männer sich beschleunigte. Ich kam zu ihnen nicht als Königin, sondern als Sonnenpriesterin, und jeder wusste, dass dies etwas zu bedeuten hatte. Den Kopf hoch erhoben, schritt ich weiter. Mein Blick ließ nicht von Iri, der wie eine bronzene Gottheit auf der Estrade thronte. Die Wut brannte in mir. Doch mein Ausdruck blieb kühl, meine Bewegungen gemessen, während ich vor die Estrade trat und mich förmlich verneigte.
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