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Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)

Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)

Titel: Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Autoren: Maren Bohm
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Aufbruch ins Heilige Land
    Passau, im September 1096
    Das Erscheinen des Abtes versetzte Alice in Schrecken.
    Seine Anwesenheit, seine dunkle Herrschergestalt, sein durchdringender Blick steigerten die ohnehin schon bestehende Anspannung, die das ganze Haus erfasst hatte, seit am Morgen die Kreuzfahrer den Passauer Kaufmannshof von Alice’ Vater gestürmt hatten.
    Es war noch dunkel gewesen, als Alice vom Bellen der Hunde und von den Zurufen der Männer geweckt worden war. Verwirrt und aufgeregt hatte sie nach dem blauen Wolltuch gegriffen und war barfuß auf die Galerie gerannt, von wo sie auf den von Fackeln beleuchteten Hof hinuntersehen konnte. Sie blickte auf ein ungewohnt prächtiges Bild: Adelige und Männer in Kettenhemden mit einem roten Kreuz auf weißem Tuch über der Brust, ausgestattet mit Maultieren und geschmückten Reitpferden, Jagdhunden und sogar einem Falken, füllten den gesamten Hof. Schwerter, Lanzen und Helme funkelten im Schein der Fackeln, die bunt bemalten Schilder und die Reitzügel waren mit Gold und Edelsteinen besetzt.
    Dies waren also die Kreuzfahrer. Besonders heilig wirkten sie nicht, fand Alice. Allerdings sehr stark. Aber fromm waren sie sicher, überlegte sie weiter, sonst würden sie sich nicht auf die weite Pilgerreise von Passau nach Jerusalem begeben.
    Alice beugte sich weit über die Balustrade, fuhr jedoch sofort zurück. Im weißen Nachthemd dürfen sie mich nicht sehen, schoss es ihr durch den Kopf, obwohl keiner der Männer zu ihr heraufschaute. Sie verbarg sich hinter einem Pfeiler und beobachtete das geschäftige Treiben, die selbstherrliche Art, mit der die Adeligen die Knechte und Mägde herumscheuchten, und die Beflissenheit, mit der diese den Befehlen gehorchten. Es schmerzte Alice, dass selbst ihr Vater, der aus dem Kontor herbeigeeilt kam, seine Gäste untertänig begrüßte. Tief verbeugte er sich vor ihnen. Alice fröstelte.
    Warum blieb sie hier stehen? Sie wollte dabei sein. Hastig lief sie in ihr Zimmer, zog das grüne, mit gestickten gelben Blumen besetzte Samtkleid an, das der Vater ihr gerade aus Köln mitgebracht hatte, und ging aufrecht die Außentreppe in den Hof hinunter.
    Doch keiner beachtete sie. Die dampfenden Pferde wurden abgerieben, die Knechte kümmerten sich um die Fesseln, die Mägde schleppten in Kübeln Wasser zu den Trögen und versorgten die Pferde mit Heu. Ihr Vater ging wortlos an Alice vorbei und führte die hohen Herren ehrfürchtig ins Haus. Alice blickte ihm enttäuscht nach.
    Und so sollte es für Alice den ganzen Tag weitergehen. Während Stroh für die Schlafplätze der Bediensteten aufgeschüttet wurde, Zimmer für die Adeligen, mit Kerzen aus Honig, gerichtet und Tonkrüge mit Wasser und Wein gefüllt wurden, während geschlachtet, gebraten und in hohen Töpfen, deren Grund man nicht sehen konnte, gekocht wurde, stand Alice unschlüssig im Haus herum, ging hier und dort zur Hand, wurde aber den ganzen Tag das schmerzliche Gefühl nicht los, dass keiner sie wirklich beachtete. Dabei war sie die Tochter eines reichen und freien Kaufmanns. Mit ihren 15 Jahren hätte sie längst verheiratet sein können. Und schließlich war sie, wie ihr bereits mehrfach versichert worden war, sehr hübsch mit ihrem schmalen Gesicht und ihrem blonden Haar, das sie leider nicht zu bändigen vermochte. Aber die adeligen Gäste ihres Vaters behandelten Alice nicht einmal wie Luft, sie schienen sie einfach nicht zu sehen.
    Nun, das war eigentlich ziemlich unwichtig, denn schon ganz früh am kommenden Morgen wollte der Graf mit seinem Sohn und dem Gefolge zum Heer des Herzogs Gottfried von Bouillon aufbrechen, sich mit der Seilfähre über den Inn setzen lassen, um mit dem Kreuzfahrerheer von Passau nach Jerusalem zu ziehen. Alice würde also den Rittern niemals wieder begegnen. Und ihr Vater sah sich bereits nach einem passenden Bräutigam für seine Tochter um. Spätestens in einem Jahr würde sie verheiratet sein.
    Nein, weitaus beunruhigender, beängstigender war das Auftauchen des Abtes.
    Alice konnte sich keinen Grund denken, der ihn hätte bewegen können, seinen Fuß über die Schwelle seines Elternhauses zu setzen. Noch niemals hatte er, seit er vor langer Zeit ins Kloster eingetreten war, seine Familie besucht, hatte sie nicht zu seiner feierlichen Priesterweihe eingeladen. Nicht einen Gruß hatte er jemals an seinen Bruder Karl oder an seine Nichte Alice gesandt, die er zum letzten Mal anlässlich des feierlichen Kirchgangs nach Alice’
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