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Im Zeichen der blauen Flamme

Titel: Im Zeichen der blauen Flamme
Autoren: Federica de Cesco
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wie erstarrt und lauschte. Alles war still. Und dennoch …
    Der Tag brach an; schon war die Decke aus Zedernholz zu erkennen. Der Raum war durch Schiebetüren in verschiedene kleine Zimmer aufgeteilt. Die schwarz geränderten Binsenmatten, die den Boden bedeckten, waren seidenweich. Zum Schlafen wurden Decken darüber ausgebreitet. Mein Gemach führte auf eine Veranda, die durch eine Holztreppe mit dem Wehrgang verbunden war. Ich hasste die Festung, die aus einem Gewirr von Mauern mit verschachtelten Zinnen, strohgedeckten Gängen und sandbestreuten Innenhöfen bestand. Ein außergewöhnlich hoher Wachtturm überragte die Burg. Der Graben, der die äußeren Mauern umgab, war so tief, dass die Soldaten ihn den »Bodenlosen« nannten. Mineralien hatten dem Wasser seine eigenartige grüne Färbung gegeben.
    Die Festung Tatsuda erhob sich am Rand eines Landstrichs, der mit Schilf und Buschwerk bewachsen war und sich nach Süden bis ans Meer ausdehnte. Es war ein Sumpfgebiet, von unterirdischen Quellen durchzogen. Im Norden und Osten schlossen sich Laub- und Nadelwälder an. Es war Spätherbst. Tagsüber schien die Sonne warm, aber in der Nacht fegte der kalte Wind die Treppen hinauf, pfiff unter den Türen hindurch und wirbelte das Stroh auf dem Boden auf. Die Blätter fielen von den Bäumen und der Wallgraben schimmerte im Nebel.
    Ich schlief allein: Immer seltener teilte ich das Lager des Königs. Er nahm das hin von mir; doch ich spürte, dass er sich insgeheim vor mir fürchtete. Bewegungslos starrte ich in die Schatten der Dämmerung. Ein Bild stieg in meinen Gedanken auf: Ein schwarzer Hengst raste an den Wachtposten vorbei, stürmte durch den Torbogen in den Innenhof. Ein seltsamer Schmuck, in Form einer Knochensichel, war mit Lederbändern an seiner Mähne befestigt. Ich sah, wie ich selbst im sinkenden Sonnenlicht an das Tier herantrat, den Schmuck aus der schweißgetränkten Mähne löste; ich sah, wie ich Iri, meinem Gemahl, entgegenschritt, ihm wortlos die Sichel hinhielt. Ich erinnerte mich an alles: an das Schweigen, an Iris Gesicht und an die mörderische Wut, die in seinen Augen glühte. Ich hörte ihn die Worte ausstoßen: »Ich werde ihm bei lebendigem Leibe das Herz aus der Brust reißen!« Dann hatte er sich abgewandt, war hinter den Pfosten verschwunden. Zurück blieben die Schatten und die bedrückende Stille. Die Krieger senkten die Köpfe und Furcht flackerte in ihren Augen … Ich aber hatte mein Schlafgemach aufgesucht. Vor meinem Bronzespiegel kniend, hatte ich die Sichel um meinen Hals gelegt. Sie war Schmuck und Waffe zugleich; sie hatte schon Menschen getötet. Bei jedem Atemzug spürte ich die Sichel auf meiner Haut. Manchmal, im Halbschlaf, streichelten meine Finger über die glatt polierte Fläche. Es war ein aufwühlendes Gefühl, das mein Herz schneller schlagen ließ und meine Träume zu der Frau hintrug, der dieser Schmuck gehörte …
    Ich erinnerte mich an etwas, das weit zurücklag. Ein Mann beugte vor mir das Knie. Er trug einen schwarzen Mantel. Sein langes Haar berührte den Boden. Mit langsamen Bewegungen löste er ein Schwert aus seiner Schärpe und legte es in meine Hände. Ich hörte seine dunkle, ruhige Stimme: »Bewahrt es sorgfältig auf, Priesterin. Ich brauche es jetzt nicht mehr.«
    Ich vermeinte die eiskalte Berührung des Stahls noch in meinen Handflächen zu spüren. Das Schwert, das er mir anvertraut hatte, war kein gewöhnliches Schwert: Es war einzig in seiner Art. Sieben flammengleich gebogene Klingen traten aus dem mächtigen Schaft. Der Griff war aus massivem Silber. Die in den Stahl eingravierten Geheimworte waren gleichsam auch in mein Gedächtnis eingeprägt:
    Â»Zur Mittagszeit, am elften Tag des fünften Monats des vierten Jahres von Taihô, wurde das Schwert mit den sieben Klingen vollendet, aus mehr als hundertmal gehärtetem Eisen. Es wehrt die Gefahr ab in der Schlacht, es ist Prinzen und Königen würdig …«
    Wir nannten die Waffe das »Sternenschwert«, denn in ihm lebte der Geist der Sterne, die Kraft des Alls. Es war von Susanoo-no-Mikoto, dem Herrscher von Izumo, in einer einzigen Nacht geschmiedet worden. Zweimal hatte mein königlicher Gemahl versucht, das Schwert in seinen Besitz zu bringen. Er verstieß dabei gegen die uralte Tradition, die vorschrieb, dass ein Krieger
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