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Im Zeichen der blauen Flamme

Titel: Im Zeichen der blauen Flamme
Autoren: Federica de Cesco
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Knochensichel, bis ein stechender Schmerz mich wieder zur Besinnung brachte: Ich wandte die Augen von der leeren Truhe ab, sah den blutigen Einschnitt in meiner Handfläche, dort wo die Schneide der Sichel in meine Haut gedrungen war. Das Blut quoll aus der Wunde und floss über mein Handgelenk. Dunkle Tropfen fielen auf die Matte. Ich dachte mit stumpfem Geist: »Ich werde die Matten erneuern müssen …«
    Ich wandte mich ab. Verließ das Heiligtum. Die Blutstropfen hinterließen eine rote Spur, als ich durch den Gang zurückschritt. Maki war erwacht. Sie kniete auf der Matte, ordnete hastig und verstört ihr Gewand. Als sie mich sah, öffneten sich ihre Lippen zu einem Schrei, doch sie gab keinen Laut von sich. Ich hörte, wie die Festung erwachte. Gedämpft drangen die Geräusche aus der Halle die Treppe herauf. Diener fegten die Höfe und schrubbten die Holzböden mit heißem Wasser, während die Wachtposten sich Befehle zuriefen. In den Stallungen wieherten die Pferde. Die geschwungenen Dächer leuchteten im rosigen Sonnenlicht.
    Mit ruhiger Stimme sagte ich zu Maki: »Verbinde meine Wunde und kleide mich an. Lasse den König wissen, dass ich ihn zu sprechen wünsche.«

2
    M aki pflegte meine Hand und band ein weißes Tuch um die Wunde. Ich befahl ihr, mir mein Priestergewand anzulegen. Über ein Untergewand aus kühler weißer Seide wurde ein scharlachfarbener Umhang geworfen. Seine Ärmel, die Schmetterlingsflügeln glichen, reichten bis zum Boden. Eine weiße Kordel, deren Knoten zu einer Acht geschlungen war, umschloss meine Taille. Mein Haar, das ich einst der Göttin geopfert hatte, war wieder gewachsen und fiel mir über die Schultern. Maki band es mir im Nacken mit einem Reisstrohband zusammen. Mein Gesicht wurde weiß gepudert, die Lippen karminrot geschminkt. Ich war sehr ruhig. Ich wusste, der Kampf hatte begonnen, und ich war bereit.
    Der Page, den ich ausgeschickt hatte, kam zurück. Er warf sich vor mir auf die Knie und sprach: »Majestät, der König hat soeben die Ratssitzung einberufen. Doch er bittet Euch um die Ehre, ihn nach Beendigung der Sitzung in Euren Gemächern zu empfangen.«
    Ich spürte, wie mir unter der weißen Schminke die Röte ins Gesicht schoss. Zwar wusste ich, dass Iri die Gewohnheit hatte, seine Ratssitzungen in der ersten Stunde nach Sonnenaufgang abzuhalten, doch der Sinn seiner Botschaft war klar: Er ließ mich wissen, dass er mein Anliegen als unbedeutend von sich wies. Das war nicht allein eine Kränkung, sondern auch eine Herausforderung.
    Wortlos entließ ich den Pagen. Maki hielt mir meinen Bronzespiegel entgegen. Ich prüfte mein Gesicht, das Perlmutter gleich unbeteiligt kühl und unergründlich schimmerte. Plötzlich verwischte sich das Bild vor meinen Augen: Mir war, als glitzerten Wellen auf der Fläche des Spiegels, als wäre mein Körper von Wasser umfangen. Das Blut rauschte und dröhnte in meinen Ohren. Mein Herz begann, stürmisch zu klopfen: Ich wusste, dass mir die Gottheit ein Zeichen sandte.
    Fast gewaltsam riss ich mich von der Betrachtung des Spiegels los. Ich erhob mich und Maki ordnete die Falten meines Gewandes. Sie schob kniend die Schiebetür auf. Ich verließ das Gemach, schritt langsam durch die Gänge, vorbei an den Wachen, die in Abständen von zwanzig Schritt Aufstellung genommen hatten und von den schrägen Sonnenstrahlen grell beleuchtet wurden. Meine Schleppe glitt über die Matten wie purpurroter, knisternder Schaum.
    Vor dem Sitzungssaal, zu beiden Seiten des Tores, standen regungslos, Schulter an Schulter, die Wachen, die Rechte am Schwertgriff, die Linke an der Scheide, bereit zuzuschlagen. Die königliche Standarte war vor den Torflügeln aufgepflanzt: geschmückt mit Sonne und Mond; denn so wie diese Himmelskörper ihr Licht bei Tag und Nacht über die Welt verbreiten, so erhaben leuchtete der Herrscher über sein Volk. Ein Adler saß auf der Querstange der Standarte, an die er mit einer Eisenkette gefesselt war. Sein Name war Kana, der »Goldene Bote«. Er galt als Sinnbild der königlichen Macht, doch seine Funktion war nicht nur symbolisch: Der Herrscher benutzte ihn, um im Krieg den Feind aufzuspüren. Als ich mich ihm näherte, wippte er gereizt auf seinen Fängen. Er ließ ein scharfes Zischeln hören und plusterte die Federn auf. Der Wärter, der am Boden kauerte, zog an
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