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Im Zeichen der blauen Flamme

Titel: Im Zeichen der blauen Flamme
Autoren: Federica de Cesco
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gewaltsamen Schock und unerträglichem Blenden gab der Ozean mich frei. Ich keuchte, stöhnte, füllte meine Lungen mit Luft. Über mir leuchtete wie ein Feuerball die Sonne, und ich spürte, dass ich aus meiner Trance erwacht war …
    Zitternd, schweißgebadet brachte ich die rituellen Worte über die Lippen: »Ich habe etwas zu sagen …«
    Ich fühlte, wie meine Fesseln gelöst wurden. Etsu und Hana halfen mir, mich aufzurichten und hinzuknien. Meine Augen, die zu lange dem Glanz der Sonne ausgesetzt gewesen waren, tränten und brannten wie Feuer. Ich ließ meine Blicke über das Meer schweifen. Meine Lider flatterten, ein milchiger Schleier schien an meinen Pupillen zu haften. Doch langsam kehrte mein Sehvermögen zurück. Ich erblickte den dreieckigen Felsen, fast frei stehend unweit der Uferklippen, sah den weißen Schaum, der die rasiermesserscharfen Zacken umspülte.
    Ich streckte die Hand aus und flüsterte: »Das Sternenschwert befindet sich am Fuß dieses Felsens. Ich werde jetzt tauchen und es aus dem Wasser holen.«
    Etsu richtete sich auf. Sie verneigte sich vor dem König und wiederholte laut meine Worte. Ein Stimmengewirr erhob sich aus den Reihen der Krieger. Iri hatte sich nicht gerührt. Seine schimmernden Augen waren ausdruckslos auf mich gerichtet.
    Man hatte ein Boot vorbereitet, das aus einem ausgehöhlten Eichenstamm geschnitzt war. Von den Priesterinnen gefolgt, ging ich zum Strand hinunter. Unsere nackten Füße hinterließen kaum Spuren im Sand. Ich bestieg das Boot und nahm auf einem weißen Kissen Platz. Etsu und Hana ergriffen die Ruder. Langsam entfernte sich das Boot vom Ufer. Der Wind übertönte das Knarren der Ruder, das Plätschern des Wassers. Die Gesichter der Priesterinnen waren angespannt. Sie mussten ihre ganze Kraft aufbieten, um gegen die Strömung anzukommen. Der dreieckige Felsen kam zusehends näher; in geringer Entfernung vor ihm ließ ich die Priesterinnen anhalten. Das Boot schaukelte auf den Wellen. Das Wasser war sehr klar, die Sonnenstrahlen durchbrachen das Grün. Rote, mit Schaum durchsetzte Algenbüschel schwammen dicht an der Oberfläche. Das Gestein war mit Muschelsplittern und Korallen verkrustet. Unter dem Boot fiel der Sandboden steil ab.
    Das Meer war mir von jeher vertraut. Als Kinder veranstalteten wir Wettspiele, bei denen wir Muscheln und bunte Steinchen aus dem Wasser holten. Das gewerbliche Tauchen aber war den Frauen vorbehalten; die Schwamm- und Perlenfischerinnen bildeten eine angesehene Zunft. Ihre Männer waren kühne Seefahrer, aber sie fürchteten sich vor dem Meeresgrund, dem Reich der Frauen, denn in unserer Tradition wurde die Tiefe des Ozeans, wo einst das Leben entstand, mit dem Mutterleib verglichen.
    Ich entledigte mich meines Gewandes bis auf den Lendenschurz. Die kalte Meeresluft strich über meine Haut und ich fröstelte. Ich verneigte mich vor Etsu und Hana und sie erwiderten ehrfürchtig meine Verneigung. Einen Augenblick verharrte ich regungslos und gesammelt, atmete tief und ruhig ein und füllte mehrmals meine Lungen mit Luft. Dann wandte ich mich um und sprang über die Bootswand ins Wasser. Sofort durchdrang mich die Kälte der Fluten. Ich tauchte, öffnete die Augen. Meerespflanzen wogten hin und her und der auf den Wellen schwimmende Schaum warf bewegliche Schatten auf den Sand. Ein Fischschwarm schoss fächerförmig an mir vorbei. Ich schwamm auf die Felswand zu. Ein Tintenfisch klebte an den Steinen. Er zog die Fangarme ein und streckte sie wieder aus, wurde scheinbar größer und kleiner wie eine Traumgestalt. Das Wasser dröhnte in meinen Ohren, während ich an der Wand entlangglitt. Schon wurde es mir eng in der Brust. Bald werde ich nichts mehr sehen, dachte ich, und ich werde auftauchen müssen. Ich wusste, dass es mir beim zweiten Versuch kaum möglich sein würde, die gleiche Tiefe zu erreichen. Und so betete ich im Herzen zur Gottheit: »Mutter, Göttin! Hilf mir! Gib mir die Kraft, dir Genugtuung zu verschaffen!« Die Schwärze vor meinen Augen verlor sich, und tief unten auf dem hellen Grund erblickte ich - genau wie in meiner Vision - so etwas wie ein großes silbriges Gewächs. Die Schwertklinge hatte sich in eine Sandbank gebohrt, sodass die Waffe, einer blinkenden Alge gleich, daraus hervorragte. Ich riss meine letzten Kräfte zusammen. Flecken tanzten vor meinen Augen und
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