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Im Zeichen der blauen Flamme

Titel: Im Zeichen der blauen Flamme
Autoren: Federica de Cesco
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in meinem Haar. Dann legte ich mich im Sand nieder und streckte die Arme über dem Kopf aus. Hana hatte kleine Bambuspflöcke in den Boden geschlagen. Mithilfe von Reisstrohschnüren fesselte Etsu meine Hand- und Fußgelenke daran. Während sie diese Handlung vollzog, wurde von den Anwesenden erwartet, dass sie die Augen senkten und nicht hinsahen. Ich wurde gefesselt, »um nicht von den Geistern gepackt zu werden«. Eine ganze Weile schon starrte ich in die Sonne. Sie war riesengroß und weiß: ein Feuerbündel. Bald ging mein Atem schwer und röchelnd. Ich straffte die Arm- und Beinmuskeln und versuchte, die Fesseln zu lösen. Vergeblich riss und zerrte ich an den Schnüren; sie waren so geknotet, dass sie immer tiefer ins Fleisch schnitten, je mehr ich daran zog. Während Hana mit einem Stab auf eine kleine hölzerne Trommel schlug, hatte Etsu ein Feuer angezündet. Als die Kohlen rot glühten, warf sie eine Kirschbaumrinde in die Flammen. Ich atmete den schweren, süßlichen Rauch ein, der mit jedem Windstoß über mein Gesicht wirbelte. Ich keuchte, glaubte zu ersticken. Meine Augen brannten wie Feuer, die Sonne schien in mein Gehirn zu dringen. Ihr weißer Kern flackerte so glühend und wild, dass es mein Wahrnehmungsvermögen überstieg. Mit letzter Kraft stieß ich die geheiligten Worte hervor: »Der Weg ist bereit, der Weg ist offen für mich!« Und die Priesterinnen antworteten, wie es das Ritual vorschrieb: »Lasst den Weg sich für sie öffnen!« Ein scharfer, unerträglicher Schmerz fuhr wie ein Dolchstoß durch meinen Kopf. Ich schrie; ich hörte mich schreien. Der Schrei gellte über den Sand, gellte über die Wogen. Ich spürte, wie meine Seele sich aus dem Körper losriss und in die flammende Helle tauchte. Ich hörte das Stöhnen und Wispern unzähliger Stimmen. Ich hatte keine Furcht, ich wusste, dass es die Stimmen der Verstorbenen waren, die mir den Weg zeigten. Die Stimmen wurden immer verworrener, immer lauter; verwandelten sich in ein auf- und abschwellendes Rauschen. Ein Schleier schien sich von meinen Augen zu lösen: Grüne, flimmernde Helle umgab mich. Es war jenes smaragdgrüne Leuchten, von goldenen Strahlen durchwoben, das ich in einer früheren Vision schon gesehen hatte. Ein unentwegtes Zittern bewegte das Grün, wobei die Helligkeit zu- oder abnahm. Und durch das Flimmern und Leuchten vernahm ich ein Pochen, das sich mit dem Klopfen meines Herzens, dem Auf und Ab meines Atems vermischte. Plötzlich sah ich dort im Lichtkern eine große, dunkle Masse. Es waren drei riesige Steine, die mit mahlenden Bewegungen langsam hin- und herglitten und eine schmale Öffnung sichtbar werden ließen, deren Form sich ständig veränderte. Ein Sog trieb mich auf diese Öffnung zu. Die Steine wuchsen in die Höhe, hingen über mir wie drohende schwarze Schatten. Ich rief die Göttin um Hilfe an, tauchte in den klaffenden Spalt. Die Felsen glitten über mir hinweg und vor mir lag im schimmernden Glanz der Meeresgrund. Hin und wieder senkte sich ein goldener Lichtvorhang auf den Meeresboden und sprühte in Myriaden glitzernder Funken auf. Ein tiefes Keuchen und Schnaufen übertönte das Rauschen: Es waren die Meerestiere, die den Ozean bewachten. Ich sah bronzefarbene Wale, Seehunde mit schimmernden Augen und Fische mit Schuppen aus leuchtendem Filigran. Ein silbernes Tuch umhüllte die Delfine und ein Perlenmantel bedeckte die Fangarme der Tintenfische. Ich sah wogenden Seetang, purpurne Korallenbüsche und langsam kreisende Algenranken. Ich tauchte immer tiefer. Glitzernde Wesen mit feurigen Augen und Schaumschweifen gaben mir das Geleit. Das Wasserrauschen durchdrang mich. Ich selbst war das Meer, war eine der Erscheinungen aus Licht, die sich im Rhythmus der Wellen langsam und stetig bewegten. Jetzt glitt ich auf einen Felsen zu, an dem weiße Korallenschlacke haftete. Ich sah ihn sehr deutlich: Er hatte die Form eines Dreiecks, das sich nach oben verjüngte. Im Schatten des Felsens ragte ein silbernes Gewächs aus der Tiefe empor. Im spiegelnden Wasser nahm es immer mehr feste Umrisse an … und mit einem Mal erkannte ich das Leuchten der sieben stählernen Klingen!
    Ich schrie auf und mein Schrei schien das Meer zu spalten. Das Wasser begann, mich nach oben zu treiben, dann aufwärtszuwirbeln. Ich schrie, schrie ohne Unterlass. Und plötzlich, mit einem
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